Neues Refugium…

Es gibt Neuigkeiten: Nach einem Jahr Suche und Orientierungszeit habe ich nun seit März ein neues Atelier!

Es ist kein Laden mehr und keine Neuauflage von „Brief & Siegel“, sondern ein Atelier in dem Künstlerverein Güterhallen Solingen.
Hier, im alten umgebauten Güterbahnhof sind 16 Ateliers und Werkstätten mit ca 25 Künstlern, die in den unterschiedlichsten Kunstrichtungen arbeiten und teilweise auch wohnen. Daneben gibt es ein schönes Restaurant, eine große grüne Wiese mit einer Allee von Blutpflaumenbäumen, genügend Parkplätze für Besucher und die „Korkenziehertrasse“ für Radfahrer führt direkt daran vorbei…

Hier habe ich in den letzten Wochen ein kleines feines Atelier auf zwei Ebenen eingerichtet. Unten befindet sich die Galerie mit meinen Arbeiten und oben ist der Arbeitsbereich mit Blick in die offene Architektur der großen Halle, die ich mir mit zwei anderen Künstlerinnen teilen darf.
Also ein idealer Ort für Kunst und Kurse, für Gespräch und Innehalten, für Kalligraphie, Vergoldung und Malerei…

Sonntags ist von 14:00 bis 18:00 Uhr geöffnet und man kann über die alte Bahn-Rampe von Atelier zu Atelier schlendern, schauen und plaudern, Kunst kaufen und Inspirationen sammeln…

Herzlich willkommen!

KI und Kalligraphie…

Was haben KI und Kalligraphie gemeinsam? Ist es Bereicherung oder Science fiction-Bedrohung? Erleichterung oder nur eine weitere verwirrende Unbekannte aus der technisierten Welt? Ich weiß es nicht…

„KI möchte Intelligenz nachbauen, die menschliches Denken mechanisch nachbildet“, so und ähnlich wird es auf Wikipedia beschrieben.

Es liest sich beängstigend und vielfach auch verlockend. Unseren Rasenmäher Roboter finde ich zB äußerst hilfreich, Übersetzungsprogramme sind viel viel besser geworden. Aber ehrlich gesagt, habe ich den Unterschied zwischen „Robotik“ und „KI“ noch nicht so richtig verstanden, womöglich sind es fließende Übergänge…Obwohl KI viel mit verstandesmäßigem Denken zu tun hat, wird sie auch in der Kunst verwendet. Studien belegen, dass wir „echte“ Kunst schlecht von mit von KI hergestellter Kunst unterscheiden können. „Das ist schlimm“, war mein erster, schockierter Impuls. Ein amerikanischer Künstler namens J. Ayerle sagt, dass „KI wohl Kunst erschaffen kann, aber nicht schöpferisch sei.“ Ein äußerst komplexer Gedanke…

Ich versuche mich zu orientieren:
1.) Kunstbetrachtung. 
Wenn also Kunst künstlich erzeugt werden kann, dann ist entscheidend, was der einzelne bei der Kunstbetrachtung empfindet,  wie  das “Sehen“  sich  entwickelt…

2.) Kunstmachen (also mein eigener Prozess). Meine Quellen wie Intuition und Neugier, Schöpferkraft und Handwerk, Inspiration durch den Umgang mit besonderen Materialien, meinen Fragen und Interessen in künstlerischer Weise nachspüren und innere Schätze heben, meinen Zweifeln Namen geben, all das sind Dinge, die mir hoffentlich nicht genommen werden können!

 

3.) Das Gespräch, der Austausch und das gemeinsame Tun mit anderen Menschen ist wichtiger denn je!

ADÉ…


Es ist soweit, der letzte Tag des Jahres ist da, der Laden fast ausgeräumt und alles, was darin stattgefunden hat, wirkt nunmehr fast wie ein Traum …
Über 18 Jahre… Da haben sich wirklich viele Geschichten angesammelt!
Damit ich selbst nicht zu traurig werde, hier nun ein paar Tops und Flops und Abenteuer:

1
Kurs, aber kein Schlüssel
Wer kann sich erinnern, als wir in Cronenberg waren, wir aber nicht rein kamen? Schlüssel nicht am vereinbarten Ort. Keine Handynummer. Niemand erreichbar.
PANIK! 14 Teilnehmerinnen, alle schon auf dem Weg nach Wuppertal und KEIN Raum!! … aber zum Glück (fast) gutes Wetter…
Also Nika im Laden anrufen, damit sie die Teilnehmerinnen anruft und „umleitet“ und Willi, unseren Vermieter, fragt, ob er seinen Transporter vom Hof bringen kann, gleichzeitig alle verfügbaren Tische und Stühle organisiert… und dann haben wir einen der besten Kurse einfach im Hof unter freiem Himmel gemacht…. Kurz nach Ende, als gerade alle eingepackt hatten, begann das, den ganzen Tag drohende, Gewitter…
(Auflösung: Der halbwüchsige Sohn der Raum-Vermieterin hat nach einer wilden Partynacht mein Klingeln morgens einfach überhört…)
Seitdem wünschte ich mir einen EIGENEN Kursraum!

2
Messebesuch in Frankfurt
Nach erfolgreichem Messeeinkauf am frühen Abend Blitzeis auf der Autobahn… LKW-Fahrer verkeilen ihre Wagen, ziehen die Vorhänge ihrer Fahrerkabine zu und „verschlafen“ das Unvermeidbare einfach… Autofahrer werden nach stundenlangem Stau/Stillstand von Polizei und THW mit Decken und Café versorgt. Meine Freundin und Beifahrerin geht immer auf „Nummer sicher“ und hatte ein perfekt gepacktes Picknikkörbchen dabei und es gibt einfach immer sooooviel zu erzählen… Ankunft daheim um 3:00 Uhr nachts…

3
Einbruch im Laden
Meine Ausstellung „Frühlingserwachen“ war schon perfekt aufgebaut, als Willi mich abends daheim anrief, weil das Atelierfenster einen Spalt offenstand, ebenso wie etliche Schrank-und Schubladentüren und „mir das so gar nicht ähnlich sähe“. Ich solle doch lieber mal vorbeikommen. Tatsächlich sind die Einbrecher in das hintere Atelierfenster, ja genau da, wo die kleinen Marmorfiguren, meine „Püppis“ stehen, eingestiegen. Sie sind auf Socken über den Schreibtisch geklettert und haben meine Wechselgeldkasse und den Schmuck aus der Vitrine geklaut (natürlich war ich nicht versichert, denn das mit dem Schmuck war nur eine spontane Idee. Das habe ich danach bleiben lassen… welche Kalligraphin braucht schon Schmuck in ihrem Sortiment?)
Dankbare Randnotiz: Es müssen Schöngeister gewesen sein, denn sie haben all meine „Goldenen Eier“ für die Ausstellung verschont und jede einzelne Püppi „gesichert“ und sorgsam auf Seite gestellt, so dass sie am Ende des Tages alle unversehrt eingesammelt und an ihren Platz zurückgestellt werden konnten.

Die Spurensicherung der Polizei hat zwar Fingerabdrücke gesammelt, aber die Täter nie gefasst. Später hörte man im Dörfchen, dass man tagsüber „zwielichtige Typen“ gesehen hätte…

4
Hochwasser im Dorf!
Der kleine Weiher oben im Park ist durch Starkregen übergelaufen, Wassermassen stürzen die Kirchtreppe hinunter, viele Keller sind vollgelaufen, Friseur und Blumenladen überschwemmt, aber wie durch ein Wunder bleiben wir verschont…

5
Im Dörfchen wird ein Film gedreht…
Das ganze Örtchen ist abgesperrt, überall steht technisches Gerät und unglaublich viele Helfer gehören zum Filmteam. Ohne den jungen Mann mit WalkyTalky vor unserer Tür zu fragen, dürfen wir nicht mal zum Postkasten… aber alle hatten gute Laune! Unser Dörfchen wird schließlich berühmt!

„Fliegen lernen“ mit Gesine Cukrowski, Christoph M. Orth, Horst Janson, Eva-Maria Hagen, und die Hauptdarstellerin kauft WO ein?? ;)) … genau!

6
Warum nicht nochmal bei einem Weihnachtsmarkt mitmachen?
Ich weiß nicht mehr, welches Jahr es war, als wir uns dazu entschlossen hatten… Auf jeden Fall mussten wir bei – 17 Grad abbrechen, weil der Schnee nahezu wagerecht in unsere Hütte schneite, die Schrift von den Papieren schmierte und der Lack von den guten „Engels“-Kerzen abgeplatzt ist! Ganz zu Schweigen davon, dass der Glühwein im Glas sofort eingefroren ist…

7
Bei BRIEF & SIEGEL ist öfter gefilmt worden. Reportagen über Kalligraphie und Vergoldung und es ist jedesmal total aufregend, fremd und unerwartet!
Ein Kameramann liegend auf meinem Schreibtisch, um den fliegenden Goldstaub einzufangen. Ein Reporterteam mit der Kamera beobachtend rings um den Kurstisch, um einzufangen, was die Teilnehmer schreiben, denken, fühlen…
Ich verkabelt mit Minimikrofon und mit Fragen bombardiert, die ich mir selbst nie gestellt habe… Fremde Blicke auf meine (mir so vertraute) Arbeit geben auch mir neue (Ein-) blicke…

8
LANDLUST
So viele schöne Beiträge in den schönsten Magazinen gab es, aber dieser eine in der LANDLUST 1/2012 hat alles überstrahlt. Am ersten Tag der Veröffentlichung gingen allein 140 Anfragen per Email ein…. Ein halbes Jahr haben wir täglich Päckchen zur Post getragen, Kurse waren aus-und überbucht, wir waren mehr als einmal überfordert und doch hocherfreut, wie unglaublich groß das Interesse an Kalligraphie ist! Bis heute kommen Leute, die sagen, dass sie „damals mal“ einen Artikel gelesen hätten, den sie bis heute verwahrt haben, weil sie „immer mal“ kommen wollten…
8
Die goldene Teekanne
Eine spektakuläre Lieferung aus Paris sollte Anfang März zum „Frühlingserwachen“ kommen: Wir hatten feinsten Tee in eleganten Chiffonbeutelchen bestellt und Zucker an zierlichen Stäbchen. Wir waren stolz wie sonstwas, so feine Dinge hatte Gräfrath noch nie gesehen… dachten wir… stimmte auch! Denn das Jahr schritt voran, doch nichts kam, auch nicht auf Nachfrage… Die Frühlingsausstellung war längst vorbei, der Sommer, Herbst und die Adventsausstellung auch, als endlich-endlich das ersehnte Paket kurz vor Weihnachten kam. Leider war nicht eines der bestellten Produkte dabei, dafür Weihnachtsmarmeladen, Tee in Schachteln und als Krönung eine GOLDENE Teekanne, die ein Vermögen kostete! Ich habe sie nie verkauft, sie steht bis heute bei mir Zuhause… viel zu edel um sie zu benutzen…

Es gibt noch sooo viel mehr Geschichten, aber heute ist der letzte Tag des Jahres!
Deshalb nur noch ein paar Erinnerungsfragmente:

… das Engel-Projekt, als ich mit Kamo einen Steinengel im Hof verbuddelt habe und Nika ihn schließlich nach zwei Jahren wieder ausgegraben hat….
… die Kurs-Reisen nach Weimar, nach Schwerte und in den Norden, Süden (wo ich mit meinem Landrover auf der Autobahn liegengeblieben bin…) und Osten des Landes.
… die Ausstellung im Schriftmuseum in Österreich
… Die Beschriftung und Vergoldung der Fassade
… das „Turmzimmer“ in Langenberg
… das SCRIPTORIUM in der alten Fabrik (und die Lesung!)
… etliche SALON-Abende
… unzählige Kurse

Es war schön, es war anstrengend und aufregend, inspirierend und abenteuerlich, es hat mich viel gelehrt und weitergebracht, mich dankbar und glücklich gemacht!
VON GANZEM HERZEN DANKE ICH ALLEN KURSTEILNEHMERINNEN, KUNDEN, HELFERN UND WEGBEGLEITER*INNEN!
Vor allem Nika, Sabine, Lotte und Lea für die Unterstützung, die diesen Ort mit ihrem Enthusiasmus erst ermöglicht haben! Dank an Helga für die Rettung der SALON-Abende! Und Willi, ohne dessen heiteren Gleichmut wir uns nicht so hätten entfalten können!

Ich wünsche Ihnen und Euch ein gutes, gelingendes und friedvolles neues Jahr!
Auf dass wir uns Wiedersehen zu neuen Abenteuern!!!
Mit Abschiedsschmerz und Aufbruchstimmung, Sabine

ZEIT DER VERÄNDERUNGEN


Ein wechselvolles Jahr neigt sich dem Ende zu. Auch für mich persönlich war einiges „mehr als überraschend“… Und da es sich langsam herumspricht und ich schon erste Pläne entwickelt habe, möchte ich es heute offiziell bekanntgeben: Ich werde Gräfrath verlassen. Das Haus, das für mich in den letzten 18 Jahren zur zweiten Heimat geworden ist, sucht einen neuen Besitzer. Da sich dadurch vermutlich vieles, wenn nicht ALLES ändern wird, habe ich nach reiflicher Überlegung beschlossen, zum Jahresende meine Arbeit im Laden „BRIEF & SIEGEL“, zu beenden.

Gerade bin ich auf einen Text von Rilke gestoßen, der mich tief berührt, wie er so treffend und so herzzerreißend schreibt:

> Man muss nie verzweifeln, wenn etwas verloren geht, ein Mensch, eine Freude, ein Glück. Es kommt alles noch herrlicher wieder. Was abfallen muss, fällt ab. Was zu uns gehört bleibt bei uns, denn es geht alles nach Gesetzen vor sich, die größer sind als unsere Einsicht und mit denen wir uns scheinbar im Widerspruch stehen. Man muss in sich selber leben und an das ganze Leben denken, an all seine Millionen Weiten, Leben und Zukünfte, denen gegenüber es nichts Vergangenes oder Verlorenes gibt. < Rilke 1904

Diesen tiefen Einblicken ist eigentlich nichts hinzuzufügen… so viele Begegnungen mit wunderbaren Menschen, Freuden, Glück (und auch Traurigkeiten), all das ist unter diesem Dach, an diesem Ort nun vorbei.

Im zweiten Teil spricht Rilke etwas an, was in mir seit langem arbeitet, denn vieles blieb auch unerfüllt oder schlicht unerledigt… und vielleicht ist GENAU JETZT dafür die Zeit gekommen! Zeit, um Bilder zu malen, die es bis jetzt nur in meiner Phantasie gibt, Vergoldungstechniken, die ich immer ausprobieren wollte, Projekte, für die nie Zeit war…
Und ich möchte meine große Ausstellung im Mai vorbereiten!
(Nähere Infos folgen zu einem späteren Zeitpunkt).

Dennoch bleiben einige wichtige Dinge!
Kurse finden weiter im kleinen Kreis statt, Auftragswünsche, Kalligraphie und Vergoldungen für besondere Anlässe fertige ich weiterhin auf Wunsch an.

Das „ATELIER Sabine Danielzig“ ist für Sie weiterhin für Terminvereinbarungen und Beratungen unter der angegebenen Telefonnummer, per Mail und WhatsApp erreichbar.

Einsichten und Aussichten zum Jahresende…

„Geduld bedeutet, daß man immer weitblickend das Ziel im Auge behält,
Ungeduld bedeutet, daß man kurzfristig nicht die Bestimmung begreift.“
Rumi

Für uns alle geht wieder ein besonderes, meistenteils schwieriges Jahr zu Ende…
Auch wir hier im Laden haben viel überlegt, geplant und wieder verworfen,
sind vorsichtiger geworden…
Ich habe lange mit den aufgezwungenen Veränderungen und Einschränkungen gehadert, doch mittlerweile stellt sich fast eine Art Routine im Umgang mit dem Unvorhersehbaren ein.
Wir haben neue Kurse geplant, aber etwas mehr freie Termine gelassen,
– für „Unvorhersehbares“-. Wenn alles gut geht, folgen also weitere Kurse!

Inzwischen haben wir auch den zweiten Raum renoviert, Möbel ausgelagert, das Regal neu sortiert und verschoben. Unverkennbar spiegelt der Raum nun das, was wir uns wünschten. Er ist klarer und luftiger als vorher, ein unbeschriebenes Blatt, bereit für neue künstlerische Abenteuer!

Denn DAS hat die Krise gezeigt, ohne Kunst und Kalligraphie geht es nicht!!
Für mich selber nicht und für viele, mit denen ich mich ausgetauscht habe,
auch nicht. Und so gehe ich mit einiger Zuversicht ins neue Jahr!
Wir werden Wege und Lösungen finden, die das Gute (den Notwendigkeiten
zum Trotz) ermöglichen.

Mir hat sich in diesem Jahr neben der Kalligraphie und der Vergoldung
mit der Malerei eine neue Welt eröffnet!
Sie ist so ganz anders als Kalligraphie, bietet sie doch die Macht der dreidimensionalen Illusion. Ich baue ein Bild in Schichten auf und folge nicht unbedingt einer Linie wie bei der Kalligraphie. Ich erkunde ihre Regeln und versuche, meine Hände den anderen Werkzeugen anzupassen, meine Augen hin und her schweifen zu lassen, zu versinken im Motiv, immer auf der Suche nach „dem richtigen Ausdruck“ und berausche mich an dem Geheimnis, wie etwas „reales“ und dreidimensionales sich auf dem flachen Papier zu erkennen gibt.
Kalligraphie, Vergoldung und Malerei zu verbinden, das ist seit langem meine Vorstellung! …
Ein guter Plan für 2022!
Schreibt mir, welche künstlerischen Abenteuer Ihr umsetzen wollt!

Ich wünsche allen einen friedvollen, versöhnlichen Jahresabschluss und ein frohes, kreatives, zuversichtliches und gesundes neues Jahr!

KUNST UND ZEITGEIST

(Kohle und Kreide auf ROMA Bütten, Text Rilke)
Seit Monaten verunsichern und ängstigen die aktuellen Meldungen
nur noch, täglich erwartet man etwas Klarheit in all dem zu finden,
doch nichts scheint planbar oder verlässlich zu sein. Man richtet sich
also mit alldem irgendwie ein und versucht sich mit dem „vorerst“
Unabänderlichen zu arrangieren.

Deshalb gleich zu Beginn ein Zitat von Goethe, der in ziemlich unruhigen
Zeiten konstatierte: „Die ästhetischen Freuden halten uns aufrecht,
indem fast alle Welt dem politischen Leiden unterliegt.“

Wenn aber Museen, Cafés, Theater und so vieles geschlossen ist,
müssten wir uns eigentlich selbst um diese „ästhetischen Freuden“ kümmern…
Manchmal fühle ich mich allerdings geradezu gelähmt von der Schwemme deprimierender Nachrichten und je mehr ich mich nach diesen Freuden sehne,
desto weniger kreativ kann ich agieren.
Ich habe gelernt in diesen Zeiten, nicht gleich zu viel von mir zu erwarten,
sondern in kleinen Schritten zu arbeiten. Eine „nur“ kleine Skizze,
etwas „nur“ grundieren, meinen Café in Betrachtung meiner
Lieblingstasse zu genießen, so was eben.

Dennoch bedrücken mich die vielen Fragen wie, was macht „homeoffice“
mit den Menschen, was bedeutet es für unser soziales Miteinander, wenn
wir ständig eine Maske tragen, wenn unsere Kinder und Jugendlichen sich
kaum treffen dürfen? Von den Sorgen um diese Krankheit mal ganz zu schweigen…

Meine Gedanken drehen sich dabei im Kreis und in den Medien finde ich
gar keine Antworten darauf, also ABSCHALTEN und die Fragen umkehren!
Aus „was macht Homeoffice mit den Menschen“? wird, was mache ICH aus Homeoffice? Aus „was macht die Maske mit mir?“ wird, wie gehe ICH mit
diesem ungeliebten Ding um? Ich kann mir nicht alles schönreden und finde
auch nicht auf alles eine Antwort, aber ich erobere mir meinen eigenen
DENKRAUM zurück!


(Becher und Läufer aus Obsidian, Federhalter aus gedrechseltem Ebenholz)

Goethe versucht sich mit Kunst und Naturbetrachtung „ein Bollwerk gegen
den aufgeregten Zeitgeist zu bauen,“ und rät einem Kollegen: „Wir haben
mehr als jemals jene Mäßigung und Ruhe des Geistes nötig, die wir den
Musen allein verdanken können.“

Ihr Lieben! Kommt gut durch diese merkwürdige Zeit!

PS. Diese so scheinbar aktuellen Zitate habe ich dem klugen Buch von
Rüdiger Safranski „Romantik“ entnommen.

Neues von der Schreibdame

Der Herbst ist unverkennbar da! … und damit beginnt auch wieder die Sehnsucht nach gemütlicher Kerzenatmosphäre und den schönen, besinnlichen Stunden am Schreibtisch, nach Kalligraphie, Poesie und Vergoldung…

Deshalb habe ich die ersten Kurstermine schon hier in den Blog gestellt (ihr findet sie oben in der Leiste unter „Kurse“), in den nächsten Tagen und Wochen werde ich es weiter ergänzen, ihr könnt auch gerne Wünsche äußern zu Themen, die Euch interessieren. (In jedem Raum sitzen max. drei Teilnehmer*innen. Wer jedoch einen Einzelplatz haben möchte, weil er selbst gefährdet ist oder anderweitig in Sorge ist, kann uns gern vorher Bescheid geben, dann wir reservieren gern einen solchen Tisch.) Da wir im Winter den Garten nicht zu Vorführungen nutzen können, werden wir Masken tragen, wenn ich etwas vorführe, an den Plätzen dürft Ihr die dann aber wieder abnehmen. Evtl. empfiehlt sich auch wärmere Kleidung, weil wir halt oft lüften müssen.

Die Planung einer kleinen Adventsausstellung unter dem Motto „Weihnachten in Haus und Hof“ läuft. Wir möchten alle unsere Räume mit einbeziehen, um möglichst eine gute Verteilung und Belüftung gewährleisten zu können. Wir wollen jedoch erst die „Corona-Hürden“ verstehen, abstimmen und integrieren. Aber wir versuchen, es so unkompliziert wie möglich zu machen. Ihr könnt Euch schon mal das Wochenende nach Buß -und Bettag notieren (20./21. November).

Wir freuen uns auf viele Besucher !
Sabine und Nicoleta

Der eigene Weg


Obwohl uns in den sozialen Medien Kalligraphie in einer verwirrenden Auswahl
und in unterschiedlichsten Ausprägungen begegnet (graphische Abstraktionen, perfekte Buchmalereien und historische Kopien, Pinselwürfe, malerische Interpretationen, Schriftcollagen und Schriftschichtungen, Textteppiche, Anverwandlungen von fremden Schriften und auch die Werkzeugauswahl scheint mittlerweile unbegrenzt…), suchen wir doch das „Uns-gemäße“, das Eigene und Persönliche.
Oft geht es neben der Entwicklung der handwerklichen Fähigkeiten um die persönliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Wie entwickelt man eine eigene Sprache, einen eigenen Ausdruck und damit eine unverwechselbare „Handschrift“?
Kalligraphie-„Unterricht“ kann sich dem Namen nach natürlich viel leichter der handwerklichen Seite des Tuns widmen, denn wie will man individuellen Ausdruck „unterrichten“? Dennoch ist genau das ja das eigentliche Ziel der ganzen Übungen.
Vielleicht hilft es, wenn wir an dieser Stelle etwas ins Philosophische abschweifen. Erich Fromm hat ein berühmtes Buch mit dem Titel „Haben und Sein“ geschrieben. Er sagt:

Das höchste Ziel im Seinsmodus ist „tieferes Wissen“, im Habenmodus „mehr Wissen“.

Zwischen diesen beiden Polen bewegen wir uns beim künstlerischen Tun. Einerseits müssen wir bestimmte „Skills“ besitzen; wir müssen MEHR wissen, denn nur dann haben wir die nötige Vielfalt an Möglichkeiten, um überhaupt etwas auszudrücken zu können. Andererseits müssen wir uns auch eine gewisse Freiheit, einen „Anfängergeist“ bewahren, um etwas fließen zu lassen, das tiefer unter der Oberfläche der alltäglichen Wahrnehmung liegt.

Meister Eckhart hat seine Vorstellung vom Wissen oftmals ausgedrückt, beispielsweise wenn er sagt, daß Wissen kein bestimmter Gedanke sei, sondern alle Hüllen abwerfe ohne Interesse und nackt zu Gott laufe, bis es ihn berühre und erfasse.

Die greifbare, sinnliche und die geistige Welt berühren sich in der Kunst. Es ist ein Weg, der im Grunde kein physischer ist; er ist etwas, was man letztlich nur alleine empfinden und gehen kann, und das steht scheinbar im großen Kontrast zu den Erwartungen des modernen Lebens. So verstanden zeigt ein künstlerisches Werk das Physische, ist aber nicht aus ihm entstanden…
Auf einem Blatt Papier kann jeder sein ganz eigenes Universum entfalten. Deshalb zum Schluss noch eines der wundersamen Gedichte von William Blake, einem Dichter, Maler und Mystiker aus dem 19. Jhdt., der bis heute in keine der üblichen Kategorien passt:

Die Welt in einem Sandkorn sehen,
Und den Himmel in einer wilden Blume,
Die Unendlichkeit in der Hand halten,
Und die Ewigkeit in einer Stunde.

FERMATE

 


Ich habe diesen Titel gewählt, weil Fermate für Innehalten steht, auch für die Gestaltung des Innehaltens. Denn diese Zwangspause – wie auch immer man dazu steht – zeigt doch, wie zart und empfindlich der scheinbar sichere Boden ist, auf dem wir täglich planen… und wie leicht unser aller Gleichgewicht gestört ist. Bei dem einen ist der Stress doppelt so hoch wie sonst, andere fühlen sich regelrecht ausgebremst oder sind einfach zum verunsicherten Abwarten verurteilt. Dennoch, und das muss wohl ausdrücklich vorangestellt werden, leben wir in einem Land, dessen klare Strukturen sich gerade jetzt von ihrer besten Seite zeigen.

Aber hier ist kein politisches Forum, dies ist nur die aktuelle Kulisse, vor der ich mich neu orientieren muss. An die meisten Kursteilnehmer habe ich schon eine Mail zur Info geschickt (falls ich jemanden vergessen habe, bitte melden.)

𝄐
Hier erst mal ein Auszug aus Wikipedia zur Begriffserklärung:

„Die Fermate (italienisch fermare ‚anhalten‘) ist in der Musik ein Ruhezeichen in Form einer nach unten offenen Parabel mit Punkt in der Mitte über einer Note oder Pause, das auch als Aushaltezeichen verwendet wird, Innehalten in der Bewegung anzeigt oder dem Solisten signalisiert, diese Stelle nach seinem individuellen Bedürfnis zu verzieren. Frühere Benennungen des Zeichens waren „Point d’Orgue“ und Corona oder Coronata.[1]“

… Ich habe nicht schlecht gestaunt bei der Wahl meines Titels, wie eng er mit dem Wort Corona verbunden ist….
Hier steht tatsächlich, dass diese Pause dem Solisten ermöglicht, sie „nach seinem Bedürfnis“ individuell zu verzieren… unfassbar!

Also haben wir (wie viele andere auch) in diesem Sinne begonnen:
Und nach den Renovierungsarbeiten und dem Bepflanzen des „Gartens“ während des Kontaktverbots ist der Laden nun wieder geöffnet!

Wir haben einen schönen Bereich draußen im Hof zur Nutzung dazu bekommen und genießen das Arbeiten in unserer „Outdoor-Werkstatt“ sehr. Deshalb hängt jetzt also (neben der Info zu den Vorsichtsmaßnahmen) öfter ein Schild an der Ladentür mit der Einladung, „hintenrum“ zu kommen. Plötzlich bekommt das Dörfchen wieder etwas ländlich Zwangloses (dazu seit Wochen blauer Himmel), fast könnte man die Situation romantisch verklären… getreu dem Motto:

Narren hasten, Kluge warten, Weise gehen in den Garten von Tagore

 

Diese handwerklichen Aktivitäten waren noch leicht, aber langsam wird klar, dass die Einschränkungen noch lange dauern werden und nun verschieben sich unsere Gewohnheiten (Einkaufen mit Maske ist wahrlich kein gelungenes „Shoppingerlebnis“…)

Deshalb die Aufforderung, diese Fermate „zu verzieren nach dem individuellen Bedürfnis“. Nutzen wir die Pause für Kalligraphie, Kunst und Kreativität! Obwohl es gerade so schwierig scheint, möchte ich Euch alle dazu ermutigen! Denn das Tun mit den Händen ist IMMER auch Nahrung für die Seele.

Casein, Pigmente auf Holz nach einem Motiv von William Morris

Von guten Mächten

„Von guten Mächten“ von Dietrich Bonhoeffer war und ist ein
tiefbewegender Text, ein Glaubensbekenntnis.
Vielleicht kann er auch in diesen schweren Tagen tröstlich sein.

Berichte aus Spanien und Italien sind schockierend, die geisterhafte
Stimmung bei uns verunsichernd. Fragen an die Zukunft, an Gesundheit
und die Existenz, alles scheint gerade wie in einem Kaleidoskop
durcheinandergewirbelt.

Über Nacht ist die Welt eine andere geworden, ohne eigenes Zutun.
Jeden Tag erleben wir gerade neu und fremd, wir sind ratlos…
Ich habe mir immer Zeit gewünscht zum Schreiben, Vergolden und Malen,
aber nun sitzt meine Muse verängstigt in der Ecke und will mich nicht küssen,
SOO hatte ich mir das nicht vorgestellt…

Trotzdem leben wir in einem guten Land, die Vorsichtsmaßnahmen
scheinen (vorsichtig optimistisch) zu greifen. Doch wie lange alles dauern
wird und wie sich unser Alltag danach verändern wird, kann noch niemand
absehen. Mir fehlen die guten Gespräche bei Kursen und im Laden…

Vieles liegt nicht in unseren Händen, das spüren wir schmerzlich.
Möglicherweise liegen aber doch ein paar Dinge in unseren Händen…
und darüber müssen wir nachdenken!
Wie wollen wir leben und was können wir dafür tun?
Die Zwangspause können wir nutzen, um uns diese Fragen zu beantworten.

Hoffen wir, dass die „Guten Mächte“ mit uns sein werden…

Und wir uns bald wiedersehen können!
Mit guten Wünschen, Sabine

BILD und ABBILD

Ein hochkomplexes Thema, das die Menschen schon seit der Antike beschäftigt und von Philosophen immer wieder von neuem betrachtet wird.

Stellt ein Abbild die Wirklichkeit dar? Oder ist es nur ein impulsgebender Ausschnitt, der den Betrachter herausfordert, das dargestellte Bild mit seinem eigenen Wissen, der Erfahrung und seinen sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeiten zu ergänzen?

Was passiert, wenn wir einen Gegenstand abzeichnen, und was, wenn wir einen emotionalen Text kalligraphisch umsetzen? Vielleicht hilft das Abbild zu einem tieferen Verständnis. „Was wir in die Hand nehmen, nehmen wir in unser Herz“, sagt ein Sprichwort. Jedenfalls scheint mir der Apfel, den ich stundenlang und mühevoll abgezeichnet habe, ein anderer zu sein, als er vorher war…. Ich habe mich mit ihm vertraut gemacht. Ich kenne plötzlich seine Schattierungen, seine glatten und rauen Stellen, seine eigenen Rundungen und Einbuchtungen, die gleichmäßig wie bei allen Äpfeln sind und doch bei ihm plötzlich einzigartig scheinen.

Wenn ich einen Text schreibe und mir überlege, welche Schrift und welches Format passen könnte, wenn ich Papier, Feder und Farbe auswähle, ist das erst der Anfang, aber dann verwandelt er sich während des Schreibens in mir zu etwas anderem: er wird Bild, Geschichte, Erinnerung, Gefühl, Musik… Manchmal entsteht sogar eine Art Dialog mit dem Dichter. Jedenfalls ist die Empfindung eine viel intensivere als beim bloßen Lesen!
Möglicherweise ist der Unterschied nicht so sehr in Abbild und Bild zu finden, sondern vielmehr im eigenen Prozess auf dem Weg von außen ins Innere und zurück aufs Papier entscheidend.
Im Tun stellen und lösen sich Fragen, manchmal rücken sie auch völlig in den Hintergrund. Die Hände arbeiten, das Auge ändert seine Sehgewohnheiten und irgend etwas weitet auch die Persönlichkeit, weil wir mehr WAHRnehmen…

Tage in Taos

Ich bin eine Weile still geblieben, weil ich meine neuen Erfahrungen als reisende Kalligraphin erst sammeln und verarbeiten wollte. Üblicherweise bin ich ja keine Globetrotterin, sondern unterrichte eher im Scriptorium und manchmal auch irgendwo in Deutschland. Das war mein erster Besuch in Amerika und die Eindrücke dieser abenteuerlichen Reise bleiben mir kostbar und unvergesslich. 

In den zwei Wochen, die ich dort war, hatten wir 14 Starts und Landungen…Von Düsseldorf über Atlanta nach Louisville/Kentucky, wo Laurie wohnt (ich habe erfahren, dass es auch die Heimatstadt von Mohammed Ali gewesen ist..;) und wir uns auf den Kurs vorbereitet haben. Abends haben wir Künstlerfreunde besucht, die ein Holzhaus von 1790 bewohnen, was für amerikanische Verhältnisse unfassbar alt ist. Vor allem war es aber unglaublich gemütlich und gastfreundlich! Überhaupt habe ich dort soviel offene Freundlichkeit und die hohe Kunst des Smalltalks kennen- und schätzengelernt (nicht zuletzt, weil meine Englischkenntnisse so „small“ sind…)  

Ein alter Baum ins Haus integriert
Ein Holzhaus von 1790
Danach sind wir gemeinsam von Louisville via Atlanta nach Albuquerque geflogen und von dort mit einem Mietwagen nach Santa Fe. Eine traumhafte Stadt, ein bisschen spanisch, amerikanisch und indianisch zugleich… meine absolute Lieblingsstraße ist die Canyon Road. Eine schmale, aber sehr lange Straße mit beidseitigen Bürgersteigen zum Flanieren. Es reihen sich Kunst – und Schmuckgalerien aneinander, nur unterbrochen von gemütlichen Cafés und Restaurants.

Santa Fe
Peter, Laurie und ich auf der Canyon Road

Von dort haben wir eine weitere Freundin von Laurie besucht. Die Witwe eines berühmten amerikanischen Künstlers wohnt so weit draußen in der hochgelegenen Wüste von New Mexico (über 2000m), dass die Straßen nicht mal mehr Namen haben. Man muss sich einfach an irgendwelchen Büschen und Sträuchern orientieren, um die richtige Abbiegung zu erwischen. Dann wird plötzlich ein sogenanntes „greenhouse“ sichtbar, eine Art Treibhaus, das igluförmig aus weiß bespannten Aluelementen gebaut ist, ein wenig erinnert es mich an eine Weltraumstation. Dahinter liegt ein langgezogenes Haus inmitten eines riesigen Wüstengartens mit Terrassen und Sitzgelegenheiten in alle Himmelsrichtungen. 

Weißer Salbei und blauer Himmel
Das Haus und das „ Green House“ in der Hochebene von New Mexico

Die Aussicht ist einfach majestätisch! Und das wirklich in JEDE Richtung! Und innen eine Gemütlichkeit mit Kaminofen von Sitzgelegenheiten umgeben, dazu Kunst gemischt mit New Mexico Kitsch… ich habe mich sofort wohl gefühlt! 

Am Horizont sind die Berge von Colorado
Schnee in den höheren Lagen

Dann endlich Taos! Das kleine Städtchen mit vielen Geschäften und Kunstgalerien (und auch mit den riesigen Trucks mit dem tiefen Geräusch ihrer Motoren, ich liebe sie! ;). Wunderschön ist der geradlinige, archaische Bau der Adobehäuser, alles terracottafarben, die hohen Zäune aus dünnen Baumstämmen, die die Koyoten abhalten sollen (abends hört man manchmal ihr Heulen), der blitzblaue Himmel mit schneeweißen Wölkchen über der weiten Landschaft, der Duft von weißem Salbei und das „sacred Land“, das heilige Land der Pueblo Indianer— und mittendrin wir, die Kalligrafen. Unglaublich…. 

Die Brücke über den Rio Grande

Das traumschöne Mabel Dodge Luhan House wirkt wie eine Filmkulisse auf mich. Und sogar Dennis Hopper war über Jahre zu Gast hier, (endlich habe ich auch die Stimmung von „Easy Rider“ verstanden..), T.H. Lawrence, Georgia O‘Keeffe und viele andere auch. Ihr Geist scheint durch die Räume zu atmen, Bilder der Erbauerin Mabel (oft auf einem Pferd sitzend) und ihrem indianischen Mann Tony Luhan hängen hier überall, dazu die geschnitzten Holzsäulen, die die Decke stützen. Und in jedem Raum ein Kaminofen, Holz daneben, Sofas, Gemütlichkeit pur! In der Küche hängen Pfannen und Töpfe von der Decke, wir sind überall willkommen. Amerika ist soo schön! 

Ich bin daaaa!
Adobe Style
Mabel’s room (und auch unser Zimmer für eine Woche)

Der Kurs beginnt… Das Wiedersehen mit Dagmar und Lily war ziemlich überschwenglich, drei Deutsche unter 13 Amerikanerinnen! Es war eine gemischte Gruppe von Anfängern und erfahreneren Kalligraphen. Das Kursthema war „Lebe die Fragen“ aus Rilkes Briefen an einen jungen Dichter. Wir haben den Tag mit Yogaübungen und kurzen Meditationen begonnen. Laurie bestand darauf, dass Handys und Uhren abgeben wurden, damit alle wirklich ganz ungestört und ohne Ablenkungsmanöver arbeiten konnten. Wir haben verschiedene Texte von Rilke in Deutsch und Englisch gelesen, danach einige Inspirationen angeboten, dann gab es viel Zeit zum Arbeiten. Still und fleißig waren alle, versunken in Poesie und in die eigenen Gedanken, die in einem kleinen selbstgebundenen Buch ihren Platz gefunden haben. Ernsthaft und kreativ, mit vielen Fragen (wie Rilke es bereits ahnte). Für den Fall, dass die Amerikanerinnen an noch mehr Literatur interessiert waren, hatte ich vorsorglich noch mehr Texte von anderen Autoren wie Romano Guardini, John Cage, Goethe und Sokrates mitgebracht. Lily hatte angeboten, mir beim Übersetzen zu helfen, falls ich mal nicht weiter weiß, aber bei der Frage, wie die Übersetzung für das „mitlaufende Werkstück“ heißt, musste sie leider passen;))). Ich war sehr neugierig, wie die Amerikanerinnen mit Kalligraphie umgehen. Aufgefallen ist mir, dass sie viel mehr sticken, in fast allen Büchern waren kleine Stickarbeiten oder Stofffetzchen eingearbeitet. Ansonsten gab es eigentlich wenig Unterschiede. Wir alle teilen die Liebe zum Wort, zum Gedankenaustausch, zum Gestalten mit unseren Werkzeugen und Möglichkeiten. 

Ich danke für all die gedankenreichen Gespräche, für das Schweigen und die Impulse, die dieser Zirkel ermöglicht hat. Ich habe gelernt, wie wichtig der Austausch über die Länder hinweg ist, wie bereichernd es ist, zu erleben, dass wir alle gleich sind und dennoch von einander pofitieren können. Vielen Dank an Romy und Happy, die so gastfreundlich waren und uns so herrliche Einblicke in die Lebensart von New Mexico gewährt haben. Und natürlich geht mein herzlichster Dank an Laurie, die all das organisiert und mir ermöglicht hat, dass ich meinen Teil zu diesem Zirkel beitragen konnte.

Vom letzten Teil gibt es natürlich keine Fotos, denn wir waren ja ohne Handys und iPads…;)

„Land of Enchantment“, Land der Verzauberung, New Mexico! Ich habe mich sofort in diese Landschaft verliebt, wie so viele … 

Copperplate oder : Nachtgedanken

F508E813-8A55-49A7-9C06-0B027C4321C1Wieso habe ich eigentlich noch nie über die englische Schreibschrift geschrieben, wo sie doch in meinen Kursen ein häufiges Thema ist? Schießt es mir mitten in der Nacht durch den Kopf. Aber besser spät als nie…. also mache ich mir sofort ein paar Notizen.
Die folgenden Gedanken sollen jedoch keineswegs abschließend sein, noch weniger sind sie allgemeingültig zu verstehen.

Das Augenfälligste zuerst: wir benutzen, anders als bei fast allen anderen Schriften der Historie, die Spitzfeder! (Anfangs den zugespitzten Gänsekiel, der um so mehr zum Verschleißen neigte). Durch die sehr schlanken Formen und zum Teil nur haardünnen Linien steht ihr der pure Schwarz-weiß Kontrast besser als farbige Experimente. Man braucht relativ glattes, fusselfreies, hochwertiges Papier und vor allem viel Geduld beim Einüben dieser fragilen Formen, die scheinbar nur zwei Extreme zu kennen scheint, entweder ist sie überaus elegant oder ziemlich misslungen.
Natürlich gibt es unzählige Schnörkel (von denen man viele überhaupt nicht braucht, denn wahre Eleganz und ein Übermaß an Schnörkeln schließen einander stets aus), dennoch ist sie eine Schrift, die sich schwerer als andere individuell interpretieren lässt, das macht sie für moderne, experimentelle Schriftbilder geradezu unbrauchbar. Entweder man beugt sich ihren Regeln oder es mangelt ihr eben an der angestrebten Eleganz. Sie verzeiht weder eine schlechte Tagesform, noch eine lange Schreibabstinenz.

Das wichtigste, eigentümlichste und damit charakteristischste ist jedoch, dass der Schreiber die Modulation der Strichstärke mit unterschiedlichem Druck auf die Feder erreicht. Das ist in der abendländischen Geschichte ein Einzelfall (außer bei der dt. Kurrent, die aber eine direkte Nachfahrin der Copperplate ist).
Üblicherweise entsteht der Strichwechsel durch die breite Form der Feder, den „Wechselzug“, hier aber durch leichtes Wippen, durch Druck und Loslassen, „Druck und Flug“, wie man es auch nennt. Das bedeutet, dass man während des Schreibens nicht nur die Linien und die sie umgebende Flächen im Auge behalten muss, sondern dass die Hand die Feder mal tief und fest übers Papier schieben muss, um sie dann federleicht in die Aufwärtsbewegungen schweben zu lassen. Das ist ein fast tänzerisch anmutender Bewegungsablauf, und genau diese Sinnlichkeit ist all diese Mühe wert!
Alles in allem: sie ist die Diva unter den Schriften!

Dabei ist ihre Geschichte nicht sehr alt, sie entstand erst im ausgehenden Barock, zwischen altem Adel und neuen humanistischen Ideen, zwischen erstarktem Bürgertum und höfischer Etikette. Sie wurde in „Schreibschulen“, in kleinen Heftchen mit illustrierten Anleitungen europaweit unterrichtet. „Jedermann“ konnte sie lernen, eine mehr oder weniger verbundene Schrift, die kursiv relativ zügig zu schreiben war.

Es gibt schrecklich verkitschte Beispiele und unglaublich erhaben wirkende Schriftblätter, die jeden Schriftinteressierten sofort bezaubern.
Es gibt sie von Hand geschrieben, und, wie der Name schon sagt, in Kupfer gestochen. Und vielleicht ist das genau ihr Problem… diese Perfektion, die mit HANDschrift eigentlich nichts mehr gemein hat, erstickt gewissermaßen die eigentliche Schönheit, indem sie sie auf die Spitze treibt. Seit der Erfindung des Kupferdrucks bemüht sich jeder Schreiber nun um genau diese technische Präzision, die aber den ursprünglich betont handschriftlichen Charme und Charakter verloren hat.
Es geht also auch um Geschmack, um eine harmonische und vor allem ästhetische Lösung der Gegensätze. Die Schrift sollte formal richtig und mit sicherer Hand geschrieben sein, dabei doch leichtfüßig und fast absichtslos daherkommend.
Nicht unzeitgemäß kitschig, doch aber mit diesen großzügigen Schwüngen, die so einnehmend fürs Auge sind. Wie aber lernt man Geschmack? Hierzu ein Auszug aus einem Gespräch Goethes mit Eckermann:

„Wir öffneten darauf die Mappen und schritten zur Betrachtung der Kupfer und Zeichnungen. Goethe verfährt hiebei in bezug auf mich sehr sorgfältig, und ich fühle, daß es seine Absicht ist, mich in der Kunstbetrachtung auf eine höhere Stufe der Einsicht zu bringen. Nur das in seiner Art durchaus Vollendete zeigt er mir und macht mir des Künstlers Intention und Verdienst deutlich, damit ich erreichen möge, die Gedanken der Besten nachzudenken und den Besten gleich zu empfinden. »Dadurch«, sagte er heute, »bildet sich das, was wir Geschmack nennen. Denn den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten. Ich zeige Ihnen daher nur das Beste; und wenn Sie sich darin befestigen, so haben Sie einen Maßstab für das übrige, das Sie nicht überschätzen, aber doch schätzen werden. Und ich zeige Ihnen das Beste in jeder Gattung, damit Sie sehen, daß keine Gattung gering zu achten, sondern daß jede erfreulich ist, sobald ein großes Talent darin den Gipfel erreichte. Dieses Bild eines französischen Künstlers z. B. ist galant wie kein anderes und daher ein Musterstück seiner Art.“


Mir gefällt besonders der letzte Satz „ein Musterstück/ Meisterstück seiner Art“.
Denn es gibt ihn wohl nicht, DEN Geschmack oder das einzig Wahre, sondern wir müssen alles immer in seiner eigenen Art, im eigenen Genre, messen. Man kommt (von persönlichen Vorlieben abgesehen) erst dann zu einer gewissen Geschmacksbildung, wenn man im Gesamten die Vielfalt der Gattungen wahrnimmt und in den einzelnen Gattungen die Feinheiten erkennt.
Für die Copperplate müssen wir unser ungeduldiges Ego soweit zurücknehmen, dass wir ihr nicht sofort in jeder Linie die spontane Eigenart aufzuzwingen versuchen, sondern durch konzentriertes Einüben der Formen dem Weg bis zur handwerklichen Meisterschaft einfach folgen. Das bedeutet, dass wir uns in unserer schnelllebigen Zeit den Raum geben müssen, unser Sehen neu zu schulen, in Minimalentdeckungen eine Entwicklung zu sehen und kleine Fortschritte auch als solche wahrzunehmen. Das kann manchmal mühsam, manchmal meditativ sein. Aber der Weg ist bekanntlich das Ziel…

GOETHE Inspirationen

99F137CD-B394-4221-9A3A-BC64B864DBA9

… als Klassiker und einer der vielseitigsten Geister der Neuzeit bietet
Goethe einen reichen Vorrat an Schriftwerken, Aphorismen und Gedichten.
Gerade auch für Künstler und Kreative, für Nachdenkliche und Suchende.
Zum Jahresanfang, beim Sortieren der Eindrücke der vergangenen Monate
und bei den Fragen an das kommende Jahr sind mir Dichterworte oft hilfreich.
Ich nehme Impulse wie den folgenden Satz gern als Stütze, um mir meiner
eigenen Gedanken und Gefühle klarer zu werden:

„Was man nicht liebt, kann man nicht machen.“

(aus einem Brief an Zelter)

Diese Feststellung trifft bei mir einen Nerv, eine lang gehegte Vermutung, und macht es mir einfacher, das eine oder andere Vorhaben von meiner Liste zu streichen (leider lässt sich nicht alles unliebsame streichen…).
Die Frage nach dem, was ich liebe, ist leicht zu beantworten:
Den Duft von japanischer Reibetusche, von Lein- und Nelkenöl. Ich liebe die glitzernden Stäubchen beim Abpinseln der Vergoldungsarbeiten, die Spuren glänzend cremiger Kreise beim Anmischen von Gesso mit dem Glasläufer, die Schwünge der Copperplate, wenn sie gelingen und meine Hand den Weg durch die Schlaufen wie von selber findet, oder die glatte Oberfläche neuer Aquarellnäpfchen beim Auswickeln aus der Folie… Eine Liste, die sich endlos fortsetzen ließe.
Kurz, ich liebe die Atelieratmosphäre mit all den sinnlichen Reizen, den Düften und schönen Materialien… es geht aber ums MACHEN!

Neben den eigenen Vorstellungen, der Phantasie und den Seelenbildern ist der Schaffensprozess meist ein Parcours durch Zweifel und Mutlosigkeiten, die gestärkt werden müssen mit Tatkraft, Beharrlichkeit, Mut und Geduld.
Die Qualität der „eigenen Handschrift“ zu entwickeln bedeutet auch, die handwerklichen Fertigkeiten zu vertiefen und herauszufinden, was man wirklich tun möchte; ein Suchen und Forschen, ein Aussortieren von Unbrauchbarem, dafür ein Anhäufen von förderlichen Impulsen — eben von dem, was man liebt.
Wenn man einer Art „Ruf“ folgt, also dem, was einen anzieht und fasziniert (unabhängig von dem Empfinden anderer), und sich umgibt mit den Dingen, die die inneren Bilder beleben, findet man vielleicht auch einen besseren Zugang zu sich selbst.

Gelungen ist eine künstlerische Arbeit, die weder bemüht noch manieriert wirkt, sondern wo Handwerk, Liebe und Philosophie scheinbar selbstverständlich ineinanderfließen. Das ist es letztlich, was berührt und Schönheit, so facettenreich sie auch sein mag, sinnlich erfahrbar macht.

Zum Schluss noch einmal Goethe, der große Liebhaber
der klassischen Schönheit
(aus Wilhelm Meisters Lehrjahre)

»Der Mensch ist so geneigt, sich mit dem Gemeinsten abzugeben, Geist
und Sinne stumpfen sich so leicht gegen die Eindrücke des Schönen und
Vollkommenen ab, daß man die Fähigkeit, es zu empfinden, bei sich auf
alle Weise erhalten sollte. Denn einen solchen Genuß kann niemand ganz
entbehren, und nur die Ungewohntheit, etwas Gutes zu genießen, ist
Ursache, daß viele Menschen schon am Albernen und Abgeschmackten,
wenn es nur neu ist, Vergnügen finden. Man sollte«, sagte er, »alle Tage
wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches
Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige
Worte sprechen.«

Ateliertagebuch oder: Der erste Engel

257ACB99-4F8C-410C-A574-2540334E5831
Seit Wochen beschäftigen wir uns mit dem Großprojekt „Engel“.
Die Idee dazu ist das eine, die Umsetzung etwas ganz anderes!

Nach ersten gestalterischen Überlegungen wird der „Rohengel“
intensiven Schönheitskorrekturen unterzogen. Es wird abgeschliffen
und hinzugefügt, ausgeglichen und vorsichtig optimiert. Der Reiz des
Alten soll bewahrt bleiben, also nicht zu viel und nicht zu wenig. Es gilt,
das richtige Maß zu finden.

Material muss beschafft und geprüft werden. Säcke mit Sand, Gips
und Zement stapeln sich neben Eimern und Werkzeugen. So viele
Zwischenstationen und Entwicklungsstufen sind nötig, bis man einer
alten, abgenutzten Form neues Leben einhauchen kann…
Der Salon des Scriptoriums verwandelt sich mehr und mehr in eine Baustelle.

Wir planen und philosophieren über geeignetes Material, über Mischungs-
verhältnisse und sinnvolle Arbeitsabläufe. Werkstattarbeit bedeutet
Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch. Es bedeutet auch Geschichten-
erzählen und konzentriertes Schweigen, vor allem aber, im richtigen Moment
Tatkraft zu beweisen und Geduld in Trocknungsprozessen zu bewahren,
sich nie mit Gegebenem zufrieden zu geben, sondern nach Verbesserungen
zu suchen und aus einer guten Idee weitere zu entwickeln.

Wo endet Handwerk und wo beginnt Kunst?
Vielleicht ist es der Moment, in dem einem der Schöpfungsprozess bewusst
macht, dass man immer wieder Anfänger ist, ein Suchender und Forscher
aus Leidenschaft für ein besseres Ergebnis.

Herzliche Einladung zu unserer
ADVENTSAUSSTELLUNG mit Punsch und kleinen Törtchen
im Scriptorium und im Laden „Brief & Siegel“! 

*Freitag, 30. November von 18:00 bis 22:00 Uhr (Kunst & Kostbarkeiten in den Ateliers und Höfen von Gräfrath) und
*Samstag, 1. Dezember von 11:00 bis 14:00 Uhr (nur bei uns)
Wir werden den Engel vorstellen und Kamo wird
Interessierten Einblicke in seine Ikonenkunst gewähren.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

969A37C7-427F-4261-A7B2-6669C4E07FB3

 

Ein alter Engel
mit leicht gesenktem Haupt und
majestätisch ausgebreiteten Flügeln
behütet seit Jahren gedankenvoll
menschliches Schicksal.

Wettergegerbt, grau und bemoost
soll er zu neuem Leben erweckt werden,
soll Begleiter sein auch für andere Seelen.

Geübte Hände und ein wacher Blick
sind gefühlte Ewigkeiten am Werk.
Zerstörung und Erneuerung scheinen gleich.
Doch bewährtes Material und kluger Geist
verbinden sich mit unsichtbaren Formkräften.

Nun steht der alte Engel da,
fleckig und geschunden,
geschliffen, poliert und ausgebessert,
mit Wachs und Honig überzogen,
bereit zu neuem Leben?

Die Form aus Gips und Gummi,
gewachsen und geschichtet wie
die Haut eines Urzeitwesens, ist plötzlich
ein großer, geheimnisvoller Kokon,
bereit zur Metamorphose …

Endlich wird die rohe Form in den Sand gesetzt.
Die Aufgabe scheint so groß
wie der Bau der Pyramiden.
Mit Erwartungen und Gebeten verrühren wir Wasser,
Zement und Sand, dazu eine Prise Magie …

Voller Tatkraft und innerer Sammlung gießen wir
schweigend flüssigen Stein in die dunkle Höhle.
Hält die Form? Sind Festigkeit und
Weichheit im harmonischen Verhältnis?
Stimmt Mischung, Material und Menge?

Wir hoffen aufs Gelingen…
und warten, bis der Stein zu Stein wird ..

So vieles wirkt in uns, bevor der erste Engel
mit hingebungsvoll gesenktem Haupt
eine freundliche Stille verkündet und
sein inniges Lächeln leise das Herz berührt.
DONA NOBIS PACEM

Und hier noch ein paar Impressionen vom Entstehungsprozess

483D039B-0021-413F-BFD7-1257123A5EFB

Kamo wartet „geduldig“…;) 

EB65B88F-F41B-4046-894B-D30E3FD2D727

Der besondere Moment: Das Öffnen der Form

D8F76D5C-1A28-4D98-8C0B-90241302C35C

 

Kleine Schönheitsreparaturen

4B6BB220-3A65-4969-BED4-6840275DD9DC

Das „Beschriften“. Jetzt weiß ich, warum es Lapidar Antiqua heißt.

7D47AF50-11A2-4FB9-9524-43CBE5D98F94

„Verfeinerungen“ in einer Nacht- und Nebelaktion…

2E09362E-3C66-4919-B812-C84F8E3A9D21

 

 

 

Alchemie oder: Das Geheimnis des Materials

E45C5FB0-B14E-47EC-9B7B-33017E609EE4
Weil nach der Ausstellung vor der Ausstellung ist und jede fertige Arbeit
einen mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt, habe ich begonnen,
mich mehr mit der Materialbeschaffenheit des Bildes auseinanderzusetzen.

Werke des Mittelalters sehen oft aus, als wären sie erst gestern fertig
geworden, so frisch und klar leuchten die Farben. Manche Bilder aus
der klassische Moderne hingegen beginnen schon trüb und irgendwie
verstaubt auszusehen…

Fragen zur Qualität und Kombination der verwendeten Materialien
stellen sich hier. Wir konsumieren heute die Produkte, die uns angeboten
werden, jedoch oft, ohne die Inhaltsstoffe, die eigentliche Beschaffenheit
und möglichen Wechselwirkungen zu kennen.
Welche Farben und Pigmente sind mineralisch, pflanzlich oder synthetisch?
Sind sie deckend oder lasierend, lichtbeständig oder schnell verblassend?
Welche wasserfest, welche wasserlöslich? Sind Papiere säurefrei, heißgepresst, handgeschöpft und wie war das nochmal mit der Laufrichtung???
Wie lange sollte Holz abgelagert sein, um sich nicht gleich zu verbiegen–
von den energetischen Unterschieden der verschiedenen Holzsorten mal ganz zu schweigen … Fragen über Fragen….
Welche Aussage soll eine Arbeit haben und wie lange muss/soll sie eigentlich
schön sein? Handelt es sich um eine schnelle Skizze, kommt es an die Wand,
auf Bütten, Holz, Leinen, ans Licht oder ins Buch?
All das muss schon bei der Materialauswahl bedacht werden, denn:
„Was man in die Hand nimmt, nimmt man auch in sein Herz.“
F91D0D7E-814E-4A26-A91D-D9101FC519A5

Neben der hochwertigen Materialauswahl gibt es noch eine weitere Ebene,
die dem Bild Charakter gibt. Die Ausstrahlung bzw Entwicklung eines Bildes, bei dem man alles selbst macht, ist sicher eine andere als bei Fertigprodukten…
– das Abschleifen der hochstehenden Holzfasern nach der ersten Grundierung
– das Prüfen und Auswählen des geeigneten Papiers
– das stundenlange, meditative Anreiben der Golduntergründe und Pigmente
– das Warten bei Trocknungsprozessen, während man die nächsten Schritte plant
– die Zeit, die man auf Farbproben verwendet, ist nie verloren und
– der Duft der Farben oder von Vergoldungsuntergründen ist unbezahlbar…

All dies schult die feine Wahrnehmung und vieles ist sicher erst auf den zweiten Blick erkennbar. Aber muss ein Bild schon bei der ersten Betrachtung all seine Geheimnisse preisgeben? Oder eher nur denen, die mehr sehen, sich Zeit nehmen und ihre Sinne geschult haben? Eben nicht für den schnellen Konsum.
„Die Mühe und Zeit, die man auf eine Sache verwendet, ist der Ausdruck der Liebe zu ihr.“ So ähnlich hat Hugo Kükelhaus es einmal formuliert.
14FAEAEB-01EC-458B-A738-6AAC831B5A1F

Bei diesen handwerklichen Tätigkeiten kann das Werk langsam Schicht für Schicht reifen, bzw. man selber reift gedanklich mit dem Fortschreiten der Arbeit. Es ist diese Wechselwirkung, die das künstlerischen Tun so faszinierend macht (und einen manchmal auch verzweifeln lässt…). Das Material ist immer in Resonanz mit dem Erschaffenden (was nicht immer angenehm sein muss, denn allzu oft ist es widerspenstig oder man hat eben auf die falsche Kombination gesetzt. Es will nicht so, wie man es sich gedacht hat, oder man war zu ungeduldig oder, oder…)

Kreativität war wohl schon immer eine abenteuerliche Reise ins Unbekannte.
Ich wünsche allen einen schöpferischen Sommer voll von Mutproben und künstlerischen Abenteuern!
… Und weil Malen immer auch etwas mit Dichten, Denken und Träumen zu tun hat, folgt zum Schluss ein Gedicht von mir:

Alchemie
Leuchtende Traumbilder
schillern durch meine Nächte
verlocken und behexen mich

Uralte Namen der Schönheit
flüstern mir Geheimnisse
in einer fremden Sprache zu
Ich erzittere unter ihrem Klang
der durch die Jahrhunderte vibriert

Gebrannt und gemahlen
wird die steinerne Kraft der Erde
verschmolzen mit dem Glanz des Himmels
Pflanzen und Tiere, alles bringt Opfer,
verbindet sich zu den Farben der Ewigkeit

Feuer und Glut
Gold und duftende Öle
berauschen meine Sinne
machen mich durchsichtig
führen mich ins Unbekannte…

5933100B-05C8-40CB-9A39-8E826AD1D194

Buchmalerei oder: Bruchstücke von Ewigkeiten

66081C8B-2797-4D0A-A08B-1B6FF0F62120
„Malen ist stumme Poesie, Poesie ist blinde Malerei.“ Leonardo da Vinci

Vielleicht ist Buchmalerei sogar mehr, denn in ihr verbinden sich
gleichermaßen Malerei, Schrift und Poesie.

Diese schon lange untergegangene Kunstform fasziniert uns bis heute
mit ihren sorgfältig gemalten Schriften, mit leuchtenden Farben aus
edelsten Pigmenten und illuminiert mit reinem Gold. Geschrieben
auf Pergamentseiten in ledergebundenen Büchern, die oft mit Edelsteinen
oder Elfenbein verziert wurden.
In diesen Schätzen hat das geistige Erbe unserer Kultur eine würdige Form
des Bewahrens und Weitergebens gefunden. Sie erinnern uns an unsere Wurzeln
und an das Zusammenspiel von Spiritualität, Kunst und Handwerk.

… ein bisschen zur Historie:
Im Gegensatz zur langen Kontinuität der orthodox geprägten Bilder- und
Ikonenkunst des bis ins 15. Jhdt andauernden oströmischen Reiches hat die
Schrift- und Buchkunst in Europa nach dem Untergang des weströmischen
Reiches wechselvolle Stilrichtungen erlebt.

Die vielfältigen Entwicklungen und Renaissancen der in Europa eher
röm.-kath. geprägten Schrift- und Buchkunst geht jedoch oftmals
auf byzantinische Impulse und Einflüsse zurück.
Wertvolle Handschriften und Bücher gelangten hauptsächlich durch
Künstler und Gelehrte nach Europa, die vor persischen und muslimischen Angriffen
oder vor dem byzantinischen „Bilderstreit“ nach Italien flohen.
Karl der Große hat einige dieser Schreiber an seinen Hof geholt und so
ein Fundament geschaffen, auf dem sich die Buchmalerei nach der durch
ihn benannten karolingischen Epoche in Europa weiter ausbreiten und
entwickeln konnte.
Es folgten die ottonischen, romanischen und die gotischen Buchmalstile,
bis sie dann in der Renaissance durch den Buchdruck abgelöst wurden.

Während anfangs der Klerus die kostbaren Missalen, Evangeliare, Psalter
und Bibeln stiftete, vergab auch der Adel verschiedenste Aufträge
an Buchmalerwerkstätten. Es gab Liebeslyrik mittelalterlicher Minnesänger
und Friedrich II. z. B. schrieb das legendäre „Falkenbuch“.
Aber das elegante und reich illustrierte Stundenbuch, eine Art kalendarisches
Andachtsbuch für Laien (z.B. das „Très riches heures“ des Duc de Berry)
wurde jedoch die beliebteste Buchgattung des ausgehenden Mittelalters.

Bücher für das Bürgertum wurden in schlichter Ausführung hergestellt.
Das teure Pergament wich dem billigeren Papier und der Buchdruck
eroberte schließlich die Welt.
Die Buchmalerei blieb jedoch noch viele Jahrzehnte Sammel- und
Prestigeobjekt. Und so staunen wir noch heute über die Opulenz der
Ausstattung, die Feinheit und Präzision der Miniaturen und über den
majestätischen Glanz der Vergoldungen, die die Jahrhunderte überdauert
haben.

Dieser Reichtum kann in unserer eigenen kalligraphischen Arbeit
mit Schrift, Bild, Poesie, Tradition und Moderne zusammenfließen.
Wir können „aus den Bruchstücken von Ewigkeiten“ neue,
zeitgemäße Kompositionen entwickeln, die Schönheit der Farben feiern mit Texten,
die uns berühren … auch wir sind Teil dieser Entwicklung!
C0B9FD5F-0470-4DD2-A30C-AC361645C416

Zeichnen und Skizzieren – eine Form der WAHR-nehmung

„Alles wird interessant und wichtig, wenn man lange genug hinsieht.“

Gustave Flaubert

Manchmal, aber es ist eher selten, bin ich für Stunden
ganz allein im Scriptorium – ohne Handy und sonstige Verbindung
zur Außenwelt. Ich liebe es, dort zu sein mit sehr leiser Lieblingsmusik,
gerade so, dass mich eine Art „Klangparfum“ wie eine Wolke
umschwebt und ich mich nicht zu allein in den großen Räumen fühle.
So kann ich vor mich hinarbeiten, und ohne mich zu beeilen, ohne klares
Ziel, schaffe ich meistens viel. Es entwickelt sich wie von selbst eine
Struktur, die ich anfangs gar nicht bewusst wahrnehme oder gar steuere…
So bin ich, ohne es zu planen, bei meinen Vergoldungsarbeiten für die
Ausstellung im Sommer im Bartlhaus fast ganz von Buchstaben und
Texten abgekommen und habe mich fürs Zeichnen und Malen von
Pflanzen- und Tierminiaturen begeistert.

D2484C2C-B19E-4F7A-B956-67EA66944025

 

Dann ist mir während eines Besuchs der mittelalterlichen Sammlung
des Kölner Wallraff-Richartz-Museums wieder bewusst geworden, wie
eng Malerei, Schrift und Gold seit jeher doch verbunden sind. Jedes einzelne
Element hat seine Bedeutung, seine eigene „Sprache“ und speziellen Ausdruck.
Das macht diese Werke so faszinierend, fremd und vertraut zugleich.

8AEE72E3-BF79-4F8D-9056-3FD6796E652E

Deshalb übe ich mich neuerdings wieder mehr im Zeichnen und Skizzieren,
denn ähnlich wie beim schriftlichen Notieren wichtiger Gedanken, Empfehlungen oder Entdeckungen finden auch beim Zeichnen Vertiefungsprozesse statt.
Während des Zeichnens achte ich viel mehr auf Details – wie auf Schatten,
Farben, Größenverhältnisse – als beim bloßen Betrachten oder gar Fotografieren.

06090202-DB82-4DEE-A290-D0F47D783184
Es gibt Untersuchungen, die Folgendes über Lernprozesse herausgefunden haben:
• durch Lesen: 10 Prozent
• durch Hören: 20 Prozent
• durch Sehen: 30 Prozent
• durch Hören und Sehen: 50 Prozent
• durch eigenständiges Erklären: 70 Prozent
• durch eigenes Tun: 90 Prozent

Vermutlich stimmt das…;) aber das dauert eben leider lange… seeehr lange…

Wahrscheinlich gehen Kurstage deshalb wie im Flug vorbei. Das, was
man gelernt hat, wird einem oft erst Monate später bewusst und
anwendbar. „Vertiefungsprozesse“, das ist wie einen Samen in die Erde
legen und wachsen lassen. Pflege UND Ruhephasen gehören dazu.
Eigentlich wissen wir das alle, und doch ist die eigene Geduld immer
wieder auf eine Probe gestellt… aber es lohnt sich!

Ich wünsche allen einen erfüllten, kreativen Frühlingsbeginn!

Der erste Geburtstag…

42654709-A6C1-40C5-BD41-2577A6D1D6DE
Nun hat das Scriptorium schon fast den ersten Geburtstag und es hat sich in dem Jahr sooo viel getan… im Februar hatten wir die erste „Sonntags-Soiree“. Die beiden Schauspielerinnen Christiane Lemm und Petra Kuhles haben mit ihrem beeindruckenden Programm „Geliebtes Wesen“ – Briefwechsel und Freundschaft zwischen Virginia Woolf und Vita Sackville-West – einen besonderen Einblick in das Leben und Denken dieser beiden Literatinnen geboten.
Ich habe mich sehr über das große Interesse und die zahlreichen Gäste gefreut, die am vergangenen Sonntag ins Scriptorium gekommen sind.

Aber auch der SALONabend ist mittlerweile hier fest etabliert und wir genießen einmal im Quartal die kleinen, gemütlichen Gesprächsrunden um Gedichte und Prosa, die jedesmal eine ganz eigene Tonart haben, je nach Themen und Teilnehmern. Sie variieren von heiter bis nachdenklich, und immer sind alle an Austausch und neuen Begegnungen interessiert. Seien Sie herzlich willkommen!

Nach wie vor sind die Kalligraphiekurse aber das eigentliche Herz des Scriptoriums. In der der alten Fabrik wurde immer viel Wert auf Handarbeit gelegt . Heute entstehen jedoch statt traditioneller Metallbearbeitung hier in dieser besonderen Atmosphäre künstlerische Schriftunikate, edle Vergoldungen, experimentelle Techniken auf Papier, aber auch ein gemeinsames Frühstück zu den Jahreslosungen gab es schon. Einige Fotoshootings haben gezeigt, wie fotogen die alten Gemäuer immer noch sind…

Ich bin gespannt auf kommende Ideen…
und bedanke mich bei allen, die mich in diesem Jahr unterstützt und an das Riesenprojekt geglaubt haben!

 

 

BORN TO WRITE…

7A6E5DE8-895F-4142-916A-FBF8CE99E1E9

Auch in Zeiten, die von äußerlicher Geschäftigkeit geprägt sind,
„wandelt“ und formt sich etwas im Inneren, etwas, was man anfangs
oft nicht in Worte fassen kann…
Die letzten Monate waren so unruhig, dass ich mich erst heute mit
ein paar Gedanken zum Thema Schrift auseinandersetzen kann.

Und so komme ich auf Umwegen zum Thema:
Das Nachdenken über die Stille des Schreibens und die Geheimnisse der Schrift an sich.
Und was macht das kalligraphische Arbeiten jenseits der schön
gestalteten Schrift oft so berührend und beruhigend anziehend?

Geschriebene Schrift „spricht“ auf leise Art zu einem, sogar auch ohne
lesbare Worte, wie in alten Briefen oder fremdartigen Schriftzeichen.
Es ist gar nicht unbedingt das Wort selbst, das berührt, sondern
eben auch der Einsatz und Gebrauch der Materialien, der Farben,
die Wahl des Formats, der Strukturen, der Linien und Texturen.
Vielleicht sogar des durchschimmernden Geistes, mit dem ein Werk
gestaltet und behandelt wurde… und da wird es interessant!

Die EIGENE Beschäftigung mit dem „vonHandSchreiben“, egal in
welcher Form -in der Regel still und schweigend- besänftigt den Geist
und sammelt die Gedanken und in jedem feinen Strich liegt eine Art
Liebeserklärung. Die Schreibbewegung und die Schönheit der Linien
und Schwünge gleichen einem Wechselspiel; man bringt etwas zu
Papier und nimmt es gleichermaßen wieder auf. Eine atmende und
lauschende Stille entsteht im Einklang und in Harmonie mit sich selbst,
wo weder Langeweile, Einsamkeit noch Stress einen Platz haben.
Diese Stille ist wie ein Echo aus den eigenen Tiefen. Ein dialogisches
Prinzip, das zwischen Konzentration und Inspiration hin- und herschwingt.

Manchmal spüre ich wie der kreative Strom durch mich fließt; Bilder,
Töne, Erinnerungen, Farben und Stimmungen… alles ist aufs Lebendigste
darin enthalten.
Hier kommt die vielzitierte Mahnung zur häufigen, wenn nicht täglichen
Praxis. Denn all das entfaltet sich nur während des Tuns, sonst strömt
es an mir vorbei. Es ist verloren…
Nur während des Tuns, -ob bedächtig oder energisch, zaghaft oder
entschlossen- kann ich in den Strom eintauchen und daraus schöpfen.
Wahrscheinlich fließt er ständig, aber wenn meine Aufmerksamkeit
abgelenkt ist, nehme ich ihn einfach nicht wahr.
In diesen Sternstunden aber ist die Welt bunt, vielfältig und sinnlich…
und ich bin mittendrin!
Ich schöpfe und bin fühlbarer Teil der Schöpfung.

Euch allen wünsche ich ein frohes und schöpferisches neues Jahr!
Ich freue mich auf die Kurse und die kalligraphischen Abenteuer mit Euch!

Pilgerfahrt -pilgrimage-

IMG_1368

 

„Jenseits aller Gedanken, Gefühle und Vorstellungen
gibt es ein inneres Heiligtum, das wir nur selten betreten.
Es ist der Wesensgrund der Seele, wo alle Anlagen und Fähigkeiten
ihre Wurzeln haben und welches das wahre Zentrum unseres Seins ist.“

Bede Griffiths

Schon lange war es mein Plan, eine Art großes „Nest“ zu bauen.
Inspiriert durch die vielen Arbeiten, Gespräche und Fragen zu Rilkes
STUNDENBUCH startete ich endlich die Vorbereitungen dazu.
Das Scriptorium bietet dafür die perfekte Kulisse.
Statt der Arbeitstische war in der Mitte des Raumes nur ein einziger
großer, schwarz bezogener Tisch mit einer Installation aus Licht und
Stacheldraht. In der Mitte des „Nestes“ stand eine schwere Schale mit
losen goldenen Fäden, ein paar Schriftfragmenten und etwas knittrigen Goldfetzchen…
Die Grundidee, viele Texte und Fragen, die ich seit Jahren notiere,
finden sich in dieser Installation bisher nur fragmentarisch wieder.
Aber wieder einmal ist ein erster Schritt gemacht, und noch etwas
zögerlich mache ich mich weiter auf den Weg…

Am Abend des Lichterfestes war das Scriptorium geöffnet für alle,
die zu einem kleinen Bummel durchs Dörfchen gekommen waren.
Viele haben umherliegende Kieselsteine mit für sie wichtigen Worten
beschriftet, so dass sich um das Nest ein Steinkreis mit verschiedensten
Inschriften gebildet hat. Während man das Nest lesend umkreisen konnte,
wurden auch Geschichten und wichtige Erlebnisse in anregenden Gesprächen ausgetauscht.
IMG_1395
aus meinem Skizzenbuch

Am nächsten Morgen ging es auf die nächste Reise nach Weimar…
Dort haben wir wieder im Bienenmuseum unseren Platz gefunden und
diesmal in „Serie“ gearbeitet. Ein gleiches Thema haben wir in seinen
verschiedenen Variationsmöglichkeiten beleuchtet. Mit Prägungen,
spontanen Zeichen und überlegten Kompositionen sind wunderschöne,
vielseitige Arbeiten entstanden. Vielen Dank an alle, die sich wieder so
mutig in unbekannte Abenteuer gestürzt haben!

Jetzt werden die Eindrücke des aufregenden Workshop-Sommers
wie die Erinnerungen einer Reise erst einmal sortiert, bevor es weitergeht…
Jedes einzelne Detail taucht vor meinem inneren Auge wieder auf und hat eine besondere Bedeutung, die ich oft auf den ersten Blick gar nicht wahrgenommen habe. Jetzt, im Innehalten und in der Rückschau sehe ich in den vielen einzelnen Erlebnissen einen Pfad, dem es weiter zu folgen gilt…

RILKE & Co.

IMG_1328
Aus meinem Skizzenbuch „Rilke“ das Gedicht :“Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz.“

„Der Vorteil der Poesie ist,
dass sie uns daran erinnert,
wie schwer es ist,
man selbst zu bleiben,
denn unser Haus steht offen,
die Tür ist schlüssellos,
und unsichtbare Gäste
gehen ein und aus.“

-Ceszlaw Milosz-

Laurie Doctor und ich haben zum Sommerthema „STUNDENBUCH“
von R.M. Rilke ins Scriptorium eingeladen. Die Idee zur zweisprachigem
Annäherung an Dichtung hat sich als ungeheuer bereichernd herausgestellt.
„Übersetzungs-Eigenheiten“ und Interpretationen machten SPRACHE
„mehrschichtig“ les- und fühlbar und haben zu einem viel tieferen
Textverständnis geführt und auch ganz eigene Deutungen ermöglicht.

„Du siehst, ich will viel“, ein Gedicht aus dem ersten Teil des Buches,
Vom mönchischen Leben, haben wir neben anderen Gedichten näher
untersucht. Einige haben die ersten Tage mit Rilke gelegentlich „gekämpft“.
Vieles ist nicht leicht verdaulich, manchmal sogar sperrig und nicht jeder
stimmt dem Gesagten zu. Die eigene Position zu finden ist vielleicht die
wesentliche Aufgabe in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Dichtung.

Du siehst, ich will viel

Du siehst, ich will viel. 

Vielleicht will ich Alles: 

das Dunkel jedes unendlichen Falles 

und jedes Steigens lichtzitterndes Spiel.



Es leben so viele und wollen nichts,

und sind durch ihres leichten Gerichts

glatte Gefühle gefürstet. 



Aber du freust dich jedes Gesichts,

das dient und dürstet.


Du freust dich Aller,
die dich gebrauchen 
wie ein Gerät.



Noch bist du nicht kalt,
und es ist nicht zu spät, 

in deine werdenden Tiefen zu tauchen, 

wo sich das Leben ruhig verrät. 


Vielen Dank an alle, die diese Woche mitgestaltet haben und zu dem
besonderen Ereignis gemacht haben! Danke für den Gedankenaustausch
und die lebendigen Beziehungen, die daraus entstanden sind.

Laurie und mir war es eine große Freude. Wir hatten auch jenseits des Kurses intensive Gespräche über Dichtung, Sprache und die sich daraus ergebenden Fragen und haben den Plan gefasst, im März 2019 in Taos/New Mexico ein ähnliches Programm anzubieten.

Fortsetzung folgt…

Die Liebe zur Arbeit – oder: Was wir vom Gärtnern lernen können

IMG_0827

Ich hatte neulich das besondere Vergnügen, zu einem Rundgang durch einen der schönsten Gärten, die ich kenne, eingeladen zu werden.
Das Wetter war durchwachsen, aber die Stimmung der anderen
Gartenbesucher gut gelaunt, charmant und anregend. Während der fachkundigen Führung des Gartenarchitekten und Besitzers Peter Janke durch seinen bezaubernden HORTVS (in dieser alten Schreibweise) habe ich viel mehr gesehen und gehört, als wenn ich dort allein entlanggeschlendert wäre. Er hat uns auf Blickachsen, auf Blattformen und -farben und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Pflanzen, was Bodenqualität und Lichtbedingungen betrifft, aufmerksam gemacht. Dazu die Wirkung des Gartens zu verschiedenen Jahreszeiten; er hat von der Pracht kahler, aber rot, gelb und weiß gefärbter Äste geschwärmt. Damit hat er ein kreisrundes Flammenmeer für den sonst eher kargen Winter „gemalt“. Es gab romantische Wiesenflächen und verwunschene Waldbereiche. Dazu sind poetisch kraftvolle Metallskulpturen im Garten positioniert, die ihre ganz eigenen Geschichten erzählen…

Aber ganz besonders beeindruckt hat mich die Geschichte des Bodens.
Dass nämlich zu Vorzeiten hier (in Hilden) der Rhein zeitweise sein Bett
hatte, „er mäanderte durch die Landschaft“ und hinterließ so seine Spuren.
Sand und Sumpf zum Beispiel, um nur zwei der sehr unterschiedlichen
Bodenbeschaffenheiten zu nennen.
Wie ein Fährtenleser muss nun der Gärtner sie deuten, um die richtigen
Entscheidungen bei der Wahl seiner Pflanzen für die verschiedenen
Bedingungen zu treffen.
Ich dachte immer, Gärtnern ist eher ein Hoffen auf Wachstum, ein
Ausgerichtetsein auf die Zukunft. Aber wie hier die jahrtausendealten
Spuren im Erdboden mit dem schöpferischen menschlichen Geist
zusammenfallen, hat mich beschäftigt.
Denn seine Gartengestaltungen waren überall unaufgeregt und im Einklang
mit der Umgebung, die natürlichen Gegebenheiten respektierend
(z.B. das vielbefahrene Hildener Autobahnkreuz in Hörweite).
Dieser Garten war nicht wie ein romantisierendes UFO aus der Vergangen-
heit hier gelandet, sondern pragmatisch, kraftvoll und künstlerisch zugleich.

Gärtnern draußen mit der Natur ist natürlich etwas gänzlich anderes als
die inwendige und gedankenvolle Stille der Kalligraphie, und doch…
auch hier spielt – zumindest die kulturelle – Vergangenheit eine große Rolle.
Sie ist die (oft unsichtbare) Basis, auf der kreatives Wachstum und
Kommunikation erst möglich werden. Sie bewahrt unser lebendiges
Erbe, auf das wir keinen Einfluss hatten, das uns einfach von unseren
Ahnen geschenkt wurde…
Wenn wir Kenntnis von unseren kulturellen Wurzeln haben, wenn wir
sie anerkennen und lieben, können wir aus diesem Reichtum schöpfen.
Dann werden unsere Arbeiten weder verkrampft, noch unsicher oder
maniriert wirken, sondern eine lebendige Frische und gleichzeitig
Substanz ausstrahlen.
UND: Wir können unserer Phantasie dabei freien Lauf lassen,
sie weiter entwickeln und gelegentlich zum Blühen bringen!

Danke Marion für diesen schönen Nachmittag!

Wer Lust hat, den Garten (mit Staudenverkauf) zu besichtigen:

https://www.peter-janke-gartenkonzepte.de/de/

Das Foto ist leider nicht aus diesem Garten (hatte die Kamera vergessen) sondern aus meinem eigenen.

Über das Sehen, Wahrnehmen und Erkennen

IMG_1315

Es gibt eine unüberSICHTliche Fülle an Wörtern, die sehr
unterschiedliche Facetten des „Sehens“ beschreiben.

Und mit Sehen ist nicht nur das gemeint, was das Auge zu sehen
imstande ist – vom einfachen Umschauen zB in einer Landschaft bis
hin zum geistlichen Sehen in biblischen Geschichten. Manchmal
liegt im Sehen sogar eine AbSICHTsbekundung.
Begriffe rund um das Sehen meinen ein Erkennen, ein Wahrnehmen.
Oft sind alle Sinne gemeint. Mit „ich sehe“ kann sogar eine über-
sinnliche Ahnung gemeint sein…
es gibt EINsichten und AUSsichten und eine ÜBERsicht.

Paul Klee sagt:
„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“

Matthias Claudius ahnt in seinem berühmten Abendlied ebenso,
dass auch nicht Sichtbares dennoch da ist.
„Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehen.“

Es gibt das symbolträchtige Auge des Horus, welches, obwohl
im Kampf zerstört, hinterher wieder geheilt zum Symbol für Licht,
Ganzheit und Heilung wurde.

Und es gibt natürlich den berühmten Satz des Fuchses aus
„Der kleine Prinz“, der sagt, dass das Wesentliche nur mit dem
Herzen und nicht mit den Augen gesehen werden kann.

Das Sehen und Wahrnehmen künstlerischer Arbeiten nimmt immer
mehr als nur das Auge in Anspruch, ob es bei der Kreation selbst
ist oder später, wenn sich der Betrachter damit auseinandersetzt.
Es gibt etwas, das auch jenseits des Auges „gelesen“ wird.
Diese Berührung mit dem Herzen oder der Seele findet lediglich
durch die Augen statt, aber es braucht den ganzen Menschen, um
zu „erkennen“.

ZEITeinganzerlangertagSPANNE

IMG_4799Was passiert, wenn zwei Kreative sich zusammentun und einen
ganzen Tag „OHNE ALLES“ planen?
Ohne Telefon, ohne Emails, ohne Konzept, ohne Termine…
kurz, ohne alles, was Druck machen könnte oder ablenkend vom
freien Tätigsein und Gedankenfluss ist. Dafür MIT viiiel Zeit…
Zeit für Milchcafé und Gespräch, Zeit zum Schweigen und
Meditieren, Zeit zum Nachdenken und „Insichhineinhorchen“,
Zeit zum Ausprobieren, Spielen und Experimentieren.

Die Idee stammt, wie meistens, aus einer flapsigen Bemerkung,
„wie schön es doch wäre, wenn…“
Denn gerade die, die Kreativität zu ihrem Beruf gemacht haben,
beklagen den Zeitmangel und die Ablenkung durch andere (sicher
auch wichtige) Dinge. Der schöpferische Strom scheint immer
irgendwie in Gefahr zu sein.

Also gesagt, getan: Termin vereinbart und sich Ungestörtheit erbeten.
Mit Spannung und Vorfreude haben wir diesen Tag erwartet und uns
dabei stets versichert, dass wir keine erdrückenden Erwartungen haben.

Wir haben mit Tee und Meditation begonnen und uns danach notiert,
was uns wichtig erschien. Wir haben konzentriert sortiert, gegrübelt,
skizziert und ausprobiert ….
Eine tätige Stille kam über uns oder eher in uns. Sie hat uns durch den
Tag getragen, uns zentriert. Es sind Arbeiten und Arbeitsansätze auf
großen und kleinen Formaten entstanden. Wir haben Fragen gefunden,
die für unser weiteres Schaffen wichtig sind.

Es ist sooo interessant, wie unterschiedlich die Arbeitsweisen sind,
dass ich kurz davon berichten muss…
Die „Gedankensammlerin“ Brigitte ist auch eine gute Zuhörerin und
richtet dann ihre Aufmerksamkeit wie einen Scheinwerfer, oder besser
gesagt, wie mit einer Lupe auf die kleinen, flüchtigen „Gedankenwesen“
und legt sie behutsam in ihr „Gedankenarchiv“. Dazu benutzt sie eine
Vielzahl von Stiften und Farben, die sie sorgfältig und griffbereit vor
sich aufgereiht hat, und trägt alles erst mal fein säuberlich in ihre
verschiedenen (natürlich farblich sortierten) Notizbücher ein.
So ist eine erstaunliche Arbeit auf einer großen Tapetenrolle mit viel
Freiraum für jeden einzelnen Gedanken entstanden. Alles hat genug
Platz, um sich entfalten zu können. Wie schillernde Schmetterlinge
habe ich die Farben und Linien bestaunt.

Meine eigene Arbeit war ein Büchlein in japanischer Heftbindung
mit zweierlei Papieren. Stundenlang habe ich gemessen, zugeschnitten
gelocht und geheftet, auch noch mit silbernen Fäden, die sich ständig
aufdröselten. Es hat viel mehr Zeit in Anspruch genommen als ich
erwartet habe…
Als ich endlich fertig war, hatte die blaue Stunde schon begonnen. Ich
habe diese Zeit genutzt, um nur mit Bleistift einfach meinen Gedanken
zu folgen. Dazu ein paar spontane Übungen, die ich immer schon mal
ausprobieren wollte. Ein paar Schwünge, etwas Gold (ohne geht es bei
mir einfach nicht) … dabei heraus kam etwas Leichtes, Träumerisches,
Fragmenthaftes. Vor allem aber viele Ideen, die ich zu gegebener Zeit
vertiefen möchte.

Es gibt kein Resümee, aber vielleicht spricht es für sich, dass wir
gleich einen weiteren Termin vereinbart haben…

Vielen Dank, liebe Brigitte, für die Fotos und diesen intensiven Tag !
Wer sich ein Bild von Brigittes Arbeiten machen möchte, kann diesem Link folgen.

http://www.brigitteborchers.de/

BE-SINNUNG Nachdenken über Schrift

 

IMG_1276

Der Verlust der Handschrift in unserer Kultur ist ein Thema, das
immer wieder an mich herangetragen wird… eigentlich höre ich
dazu keine neuen Aspekte,  sondern nur Frustration über die „handschriftlose“
Jugend und die Beziehung zwischen Handschrift und Persönlichkeit,
das Ganze gewürzt mit Schelte auf die neuen Medien. Dazu hat
neulich ein Radiosender angefragt, was ich „als Fachfrau“ zu
Handschrift, Handlettering und Kalligraphie meine…
Es wird also Zeit, dass ich mir dazu ein paar konkrete Gedanken mache!

Um es vorweg zu sagen, ich gehöre nicht zu den „Schrift-Fundamentalisten“,
denn „früher“ war sicher nicht alles besser. Die Kinder mussten Schrift
unter Druck und Repressalien lernen, Linkshänder wurden „um-erzogen“,
ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das persönlichkeits-
fördernd wirken soll!
Aus meiner eigenen Praxis und den Beobachtungen in Kalligraphie-
Seminaren kann ich jedoch feststellen, dass man auf einem Stück
Papier sehr wohl die Facetten seiner Persönlichkeit kennenlernen kann,
und das müssen nicht immer die angenehmsten sein…
wie gesagt, „Das Selbst verdoppelt sich in der Geste der Schrift“. V.F.

Es gibt wissenschaftliche Studien über den Wert der Handschrift, aber
warum wenden sich die Schulsysteme und die Gesellschaft derzeit
davon ab, obwohl doch scheinbar bewiesen ist, wie unverzichtbar sie ist?
Vielleicht hat die moderne Welt einfach allgemein wenig Zeit für all die
Dinge, die die SINNE ansprechen. Allenfalls hobbymäßig hat Schrift eine
Bedeutung wie neuerdings der Erfolg des „Handletterings“ zeigt.
Es ist in meinen Augen eine schöne Wiederentdeckung der Handschrift
oder ein Einstieg in die Kalligraphie, es ist vor allem alltagstauglich für
Grüße und Wünsche. Und es zeigt die Lebendigkeit der Schrift,
auch und gerade im digitalen Zeitalter!

Aber Schreiben ist mehr!
Schreiben ist ein sinnliches UND geistiges Erlebnis!
Dabei bin ich ganz „bei mir“, erlebe mich als Ganzheit.
Spontan, intuitiv und doch bewusst handelnd in konzentrierter,
selbstvergessener Gelassenheit.
Schreiben ist ein Mitschwingen in den eigenen Rhythmus, bedeutet
Resonanz und Erfahrung, Austausch und Begegnung mit mir selbst
und der Welt, in der ich lebe. Es lässt die künstlerische, schöpferische
Seite in mir lebendig werden, manchmal nur für Augenblicke.
Der persönliche Ausdruck von Gedanken in Worte
und in Schrift ist ein hohes freiheitliches Gut. Es ist weit mehr als
ein Hobby, Schreiben ist aktive Gestaltung unserer Gesellschaft.

Abschließend dazu einige Gedanken von Jaume Plensa:

Ein BUCHSTABE
gleicht einer mit einem Gedächtnis begabten Zelle. Eine Letter in
einem Alphabet ist etwas sehr präzises, das über Generationen
hinweg entwickelt wird und der beste Ausdruck für Kultur.
Eine Zelle allein ist biologisch gesehen gar nichts, aber zusammen
mit anderen bildet sie ein Organ oder einen Körper, und so ist es
auch mit Buchstaben. Jeder Buchstabe bewahrt sein Gedächtnis
und seine Persönlichkeit, auch wenn er dem komplexeren Körper,
dem bedeutungsvollen Text dient.
Darin liegt in meinen Augen eine schöne Metapher für Vielfalt.
Mit Text lässt sich Kultur machen, und mit einer Kultur lässt
sich alles machen.

 

WORT.SCHÄTZE

IMG_1217
Der dritte SALONabend -und der erste im Salon des Scriptoriums-
stand unter dem Motto „WORT.SCHÄTZE“.

Ich glaube, wir alle haben im Vorfeld gar nicht gewusst, wie
vielfältig, widersprüchlich, ausdrucksstark und schier unfassbar
die Bedeutung des Wortes eigentlich ist, die sich uns an dem
Abend aufgeblättert hat.

Zuerst haben wir über die unterschiedliche Bedeutung von
Muttersprache, Wortschatz und Vokabular nachgedacht.
Jemand hat seine Inspiration beim Spaziergang mit dem Hund
gefunden und Silben, Betonungen und Zusammenhänge
verdreht und wieder neu zu lautmalerischen Wundergedichten
zusammengesetzt.
Geschichten von tragenden Erinnerungen und Erkenntnissen
über Zeit, die man im Glas finden kann, wurden gelesen.

Wir haben die bedeutungsVOLLE „Leere“ im Haiku kennen-
gelernt, und fast verloren geglaubte, etwas angestaubte
Wortschätzchen mit ihren alten, vertrauten Klängen wieder
ein wenig aufpoliert und ihnen nachgelauscht, es wurden alte
und neue Gedichte vorgetragen.
Das Zuhören wie das Erzählen und das Schweigen haben uns
berührt und uns damit mehr als einmal Gänsehaut bereitet…

Vielen Dank allen Teilnehmerinnen für diese wunderbare Reise!
Wir haben wirklich ein paar „WORT.SCHÄTZE“ gehoben…

P.S. Im Juli ist der nächste SALON-Abend unter dem Begleitthema
„Gänsefüßchen“… ich freue mich schon!

Neue Räume betreten Vol. II

IMG_1200

“Der Raum ist ein Zweifel,
ich muss ihn unaufhörlich abstecken,
ihn bezeichnen; er gehört mir niemals,
er wird mir nie gegeben, ich muss ihn erobern.”

Georges Perec

Im März 2015 habe ich meinen allerersten Blogbeitrag geschrieben
mit dem Titel „NEUE RÄUME BETRETEN“.
Dabei hatte ich das so wörtlich gar nicht im Sinn…

Nun betrete ich jeden Tag die neuen Räume des Scriptoriums und
sehe und höre jedesmal etwas neues, unbekanntes. Die Geräusche
und Gerüche des alten Gebäudes, das Gurgeln in den Rohren, wenn
die Heizung anläuft.
Der Lichteinfall je nach Wetter und Tageszeit, die Lichtbrechungen der
vielen, kleinen Fensterscheiben, die frisch geweißten Wände, wo mal
Bilder einer Ausstellung hängen sollen. Ich ziehe noch leere Schubladen
auf, und was ich NICHT sehe, ist dringend benötigtes Werkzeug! …
Erst beim Arbeiten merke ich, wieviel man eigentlich täglich zur
Hand nimmt… Ich fahre also wieder los, besorge, schichte um,
schaffe erste Strukturen.
Die Cafémaschine läuft wenigstens, wie wunderbar!
Innehalten, umschauen, grübeln … und Café trinken!
Wie schön ist es, ganz am Anfang von etwas zu sein!
Natürlich fällt mir auch Hermann Hesses Stufengedicht ein
mit den magischen und vielzitierten Zeilen:

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns
beschützt und der uns hilft, zu leben.“

Dieses Gedicht (und nicht nur diese Zeilen) kommt in vielen
Lebensphasen immer wieder, und immer wieder neu und immer
wieder anders… Deshalb hier nochmal in voller Länge:

Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

An keinem wie an einer Heimat hängen,

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

Uns neuen Räumen jung entgegen senden,

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,

Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bedanken
für all die zahlreichen Glückwünsche, die besondere Wertschätzung,
die bereichernden Gespräche, die wunderschönen Blumen und Geschenke
zum Eröffnungstag! Ich bin sehr berührt! DANKE!

Ich wünsche Ihnen allen einen sonnigen und fröhlichen Frühlingsbeginn!

Willkommen im SCRIPTORIUM in der alten Stanzerei

 Am Ende bin ich selten da, wo ich hinwollte,

aber ich ende eigentlich immer da, 

wo ich letztlich sein muss. 

Douglas Adams

 

IMG_1144

Nach einigen Wochen harter Arbeit ist es endlich soweit….
es wird wieder gearbeitet in der alten Stanzerei! Es ist schon vorher ein wunderbarer Ort gewesen, aber jetzt ist es vollkommen. Viel Platz für Kreativität, für Konzentration und Kontemplation…
An diesem Wochenende fand auch gleich der erste Kurs statt:
Buchbinden mit Anna Helm.

Anna hat eine Box mit vielen Büchlein und Heften vorgestellt, die die Teilnehmer dann Stück für Stück und Blatt für Blatt, mit Leim, Nadel und Faden und großer Begeisterung erarbeitet haben.

IMG_1165 IMG_1175

Noch am Vorabend des Kurses sind die letzten Lampen angeschlossen worden,
der Schreiner hat die Tischplatten gebracht und wir haben geschleppt
und geschrubbt, gesägt und aufgebaut, Kursmaterial und Kekse besorgt.
Mein ganz besonderer Dank gilt dem wunderbaren Handwerksteam von
Frank Blankenburg aus Wuppertal, der sofort das in den Räumen noch schlummernde Potenzial gesehen und dann behutsam „freigelegt“ hat,
und Nika, die mit ihrer unermüdlicher Unterstützung, mit Enthusiasmus und strahlendster Laune das Unmögliche möglich gemacht hat!

IMG_1182

Inzwischen ist auch ein gemütliches, altes Sofa in den „Salon Klosterblick“ eingezogen und ein monumentales Schreibpult, welches aus den Praxisräumen des im 18. Jahrhundert berühmten Augenarztes Dr. de Leuw ausgemustert wurde, komplettiert nun die Kursraum-Ausstattung aufs Edelste.

IMG_1179 IMG_1181

IMG_1183

Zukünftig finden also alle Kurse (außer LICHTTURM und PAPIERWERKSTATT) im SCRIPTORIUM in der alten Stanzerei, Täppken 12 in Solingen-Gräfrath, statt.

IMG_1176

 

Gerade arbeite ich noch an einem erweiterten Kursprogramm,
das ich in den nächsten Wochen im Blog bekannt gebe.
Ich freue mich über Themenwünsche und Vorschläge dazu!

Herzlich willkommen im SCRIPTORIUM in der alten Stanzerei!

Metamorphosen

IMG_1139

 

Foto: Jens Lopez

Eine Arbeitsstätte, die seit über einhundert Jahren in Betrieb ist, wandelt ihr Gesicht…

Als ich zum ersten Mal die Räume der alten Stanzerei in Gräfrath betrat,
standen noch alle Maschinen zur Metallbearbeitung auf ihren Fundamenten.
Stanzen, Pressen, Rohre und Maschinen, die ich noch nie gesehen hatte,
wirkten auf mich wie eigenartige Lokomotiven, jedenfalls waren sie fast
so groß und schwer…
Im Raum ein schwerer Geruch von Metall und schwarzem Öl,
eine riesige Werkbank am Fenster, Werkzeuge überall…
Dazwischen kleine Holzschemel und ein Poster mit einem Rehlein im Wald.
Ich glaube, zuerst habe ich mich in das Rehlein verliebt, dann in den
dunklen Geruch nach Arbeit.
Diese Räume sollten irgendwann vermietet werden, vielleicht sogar an mich.
Für mich hieß das, Geduld haben, viel Geduld…

Für meine Vermieterin bedeutete das Arbeit, viel Arbeit.

Nach fast einem Jahr waren die Maschinen ausgebaut, die Fundamente abgeschlagen, Werkzeuge entsorgt, die Räume bereit, um mit neuen Inhalten
gefüllt zu werden.

Fortsetzung folgt ….

 

 

Wintersegnungen -Sammlung auf das Wesentliche-

IMG_1111
aus meinem Skizzenbuch

Das neue Jahr hat begonnen, die vorweihnachtliche Betriebsamkeit
fällt ab. Man hat Familie und Freunde getroffen, geschlemmt und geruht,
Besuche gemacht und bekommen, man ist spazieren gegangen und
hat vielleicht Zeit gefunden, um etwas zu lesen oder zu schreiben,
Jahresrückblicke und Jahresausblicke sind getan…

Aber jetzt erst ist STILLE !
Draußen herrscht eisige Kälte, klarer Himmel. Morgens ist die Welt
jetzt glitzerig wie mit Bergkristall überzogen, die blätterlosen Bäume
lassen den Wald fast durchsichtig erscheinen. Wenn die Sonne durch
die Baumkronen scheint ist das mattgoldene Licht die einzige, kostbare
Farbe im sonst eher schlichten mauserückengrau. Der Atem macht
weiße Sprechblasen, auch wenn man ganz still ist.
Jeden Tag rutscht der Sonnenuntergang wieder ein paar Minuten nach
hinten und wir genießen jeden kostbaren Moment Tageslicht.

Es liegt im Stillesein
eine wunderbare Macht
der Klärung, der Reinigung,
der Sammlung auf das Wesentliche.

Dietrich Bonhoeffer

In meinem Atelier versuche ich auch, mich aufs Wesentliche zu sammeln,
möglichst natürlich mit mattgoldener Untermalung…
aber was ist das Wesentliche eigentlich? Für mich? Jetzt? In diesem Jahr?
Wie immer beginne ich mit Aufräumen, das hält mich einige Zeit beschäftigt,
da mir auch ungelesene Bücher begegnen, in die ich nur mal wenigstens
„ganz kurz“ einen Blick werfen will…. oder die neugekauften, besonderen
Federhalter, die ich noch gar nicht ausprobieren konnte…
Na ja, um es kurz zu machen, in der Sammlung aufs Wesentliche bin ich
kein Profi, eher ein Anfänger, nach dem Motto „sie hat sich stets bemüht“.
Zum Glück weiß ich inzwischen, dass es anderen ähnlich geht.
Aber das Ganze hat den Vorteil, dass ich mich nach soviel Hektik und
Pflichtprogramm wieder verbinden kann mit den Dingen, die ich liebe
und die mir wichtig sind und genau darum geht es ja eigentlich!

Natürlich muss man Kompromisse machen und kann sich nicht nur mit
Lieblingsspielereien aufhalten. Aber die Kompromisse kommen von allein,
die muss ich nicht suchen, das andere hingegen geht leicht in der
Betriebsamkeit verloren.
Also bin ich ganz still und lausche auf die leisen Stimmen in mir,
reinige meine Werkzeuge, kläre meinen Geist, frage mich nach Prioritäten
und sammle mich auf für das für mich WESENtliche.
Denn nur dann fühle ich mich wieder gestärkt, um auch die Kompromisse
tatkräftig zu meistern.

Ich danke für die vielen lieben Weihnachtsgrüße, für die wunderbaren
Gespräche und für die Impulse, die den neuen Kursplan maßgeblich
mitbeeinflusst haben und wünsche allen Klarheit, Tatkraft und
Frische für neue kalligraphische Abenteuer!

„Denn das Wort ist dir nahe“

IMG_1108

„Denn das Wort ist dir nahe…“

Im Sommer habe ich diesen Text von Bernhard von Clairvaux in mein Skizzenbuch geschrieben, aber jetzt zum Jahresende, bei Rückblick und Ausblick muten mir solch kleine Sätze besonders vielsagend und geheimnisvoll an — nur leider beantworten sie nicht EINE meiner vielen Fragen! Das naheliegende übersieht man so leicht, während die Dinge am Horizont oft zum Greifen nah und klar scheinen.

„Der Weg, der dir gezeigt wird…“

Selbst da herrscht eine gewisse Unsicherheit.
Man traut sich nicht, sich auf den Weg zu machen,
man traut sich nicht, den Weg zu gehen,
oder traut man sich selbst nicht über den Weg?
Welcher Weg überhaupt?…

Und doch, wenn ich leise bin und ehrlich in mich hineinhorche,
habe ich schon Ahnungen, was gemeint sein könnte.
Was mir eher fehlt, ist der Mut, eben dem Unbekannten zu trauen.
Der Text sagt, dass ich offenbar schon alles dabei habe, was
ich auf meiner Reise benötige…

„Es ist in deinem Mund und in deinem Herzen.“

Also gut, ich werde lauschen, meinen Mut sammeln
und mich auf den Weg machen…

Euch allen wünsche ich einen Weg, auf dem euch jemand
entgegenkommt und uns allen wünsche ich, dass wir
gute Worte und ein friedvolles Herz füreinander haben!

2017 kann kommen!

NACHLESE -aus dem kalligraphischen Kursjahr-

IMG_1100
„Lass dich leise leiten von dem, was du liebst.
Es wird dich nicht in die Irre führen. “ -Rumi-

Nachlese der kleinen Dinge ….
Es ist schon wieder Herbst… wo ist nur das Jahr geblieben?

Um ein fast vergangenes Jahr wieder fühlbar zu machen,
muss man überlegen, womit man es überhaupt gefüllt hat.
Es bestand aus vielen, teils kleinen Erlebnissen, aus Hürden,
aus denen im Nachhinein die schönsten Anekdoten werden.
In der Regel ist wesentlich mehr passiert, als einem spontan einfällt…

In den Jahreszeiten ist alles hübsch geregelt, da kommt erst die
Saat, das Wachstum und dann die Ernte, alles mit voller Kraft und
ohne Zögern. Im Winter ist scheinbar Pause.
In meinem Leben scheint es irgendwie anders zu sein, da liegen Saat-,
Ernte- und Ruhezeiten wild durcheinander, eine Saat geht auf,
etwas wird geerntet, anderes dörrt vor sich hin oder ruht einfach…
Es ergibt sich aber doch ein roter Faden, eine Richtung wird erkennbar.
Ich stelle fest, dass die übergeordneten Ziele, die ich schon fast vergessen
oder aufgegeben hatte, sich doch unbemerkt entwickelt haben.
Aus diesem Blickwinkel erkenne ich, wie wichtig es ist, sich leiten
zu lassen. Vor allem auch von dem, was man möchte, es einfach
zu wagen, zu vertrauen und die ersten Schritte zu machen!

Die eine oder andere wird sich vielleicht an gemeinsame
Erlebnisse des „kalligraphischen“ Jahres erinnern…

Der erste SALONabend, „Die blaue Stunde“, eine Idee,
die ich seit Jahren mit mir trage, hat wirklich stattgefunden !
(die Farbe BLAU sehe ich nun in einem ganz neuen Licht…)
Vielen Dank für die wundervollen Beiträge, Vorlesungen, die
inspirierenden und weiterführenden Gespräche und Gedanken.

Der Besuch von Laurie Doctor und die damit verbundenen
Missgeschicke im Vorfeld, die sich glücklicherweise alle
aufgelöst haben. Die Vielfalt der neuen Schreibimpulse,
ich sage nur „writing, writing, writing“…
Zu meiner großen Überraschung habe ich festgestellt, dass ich
mich auf englisch notfalls doch ausdrücken kann! (Laurie ist
allerdings auch eine großzügige Zuhörerin…;) Aus vielen
wunderbaren Gesprächen hat sich ergeben, dass wir,
zu meiner großen Freude, im Sommer 2017 einen gemeinsamen,
ganz besonderen Kurs geben, wo sich Kalligraphie und Poesie zu
„Begegnungen mit Rilke-DAS STUNDENBUCH“ verbinden.

Dann der traumschöne Kurs im Lichtturm, wo neben
kalligraphischer Buchgestaltung sogar das eine oder andere
Gedicht entstanden ist (wahrscheinlich von der inspirierenden
Höhenluft über den Baumwipfeln…)

Der Sommer-Kurs mit den Schriftfahnen, der mangels Kursraumschlüssel
einfach im Freien stattfinden musste…
Dank der Spontanität der Kursteilnehmer und des beherzten Eingreifens
von Christiane und Nika, die unseren Hof binnen einer Viertelstunde in
einen Outdoor-Kursraum verwandelt haben, wurde das Wochenende zu
einem unvergesslichen Ereignis!

Die Weimar-Reise im September, bei der künstlerisches Arbeiten und Austauschen,
Natur und Kultur, das Wetter und der träumerische Bienenhof an der Ilm
sich auf so wunderbare Weise zu einem Gesamtkunstwerk gefügt haben.

Ich möchte mich bei allen, die mit mir dieses abwechslungsreiche und schöpferische Jahr geteilt haben, von Herzen bedanken!

Ich wünsche euch allen einen, wenn auch verspäteten, ERNTEDANK! denn…

„Im Dank dürfen wir den Ursprung, die Quelle,
aus der unser Da-Sein ständig fließt,
miteinander und füreinander offenhalten.“
Augustinus Karl Wucherer

P.S. Es gab natürlich auch Versäumnisse, Irrungen und Wirrungen,
aber die verschweige ich hier lieber…vielleicht ruhen sie einfach nur…

GOLDENE ZEITEN

…Gold adelt und veredelt. Es ist der Stoff des
Reichtums, materialisierte Sonne, ein Element
voller Mythen und Fantasien.

…Es steht außerdem für Weisheit, Klarheit
und Lebenskraft…
Seine Bedeutung nimmt in allen Kulturen
den höchsten Stellenwert ein.

…Es ist die nächste Farbe am Licht, schreibt
Goethe in seiner Farbenlehre über das gelb
und ganz besonders in seiner Steigerung,
dem Gold, wenn der Glanz hinzu kommt…

…Eine wunderbar stimmungsvolle Beschreibung des Japaners
Jun‘ Ichiro Tanizaki aus seinem Buch „Lob des Schattens“

„Die Bewohner der dunklen Häuser in früheren Zeiten ließen sich wohl nicht nur von der wundervollen Farbe des Goldes bezaubern sondern kannten gleichzeitig seinen praktischen Nutzen. Denn in lichtarmen Innenräumen hatte es ohne Zweifel auch die Aufgabe des Reflektors […], um die Helligkeit zu erhöhen. Wenn das zutrifft, liegt der Grund für die ungemeine Wertschätzung des Goldes auf der Hand: Während nämlich der Glanz von Silber und anderen Metallen bald verblasst, bewahrt es das Gold sehr lange und seine Leuchtkraft mildert so die Düsternis eines Innenraums. Hier und da macht man die Entdeckung, dass der Goldstaub, der eben noch einen gleichsam schlummernden, gedämpften Widerschein hervorgebracht hat, beim Zurseitetreten wie Feuer aufflammt […] Hier erst wird mir ganz deutlich, warum die Alten ihre Buddhastatuen oder die Wände in den Wohnräumen der Vornehmen vergoldet haben.“

Wir können kein Gold herstellen, aber wir können es auf Pergament
oder Bütten erstrahlen lassen, indem wir Untergründe
herstellen, wie wir sie aus den mittelalterlichen, prachtvollen
Handschriften kennen.
Hier also eine kleine Bildfolge zur Herstellung von Gesso, dem
berühmten ( und in Kursen „berüchtigten“) Kreidegrund. Berüchtigt
deshalb, weil er etwas anspruchsvoll ist in der Vorbereitung und
auch später ist seine Anwendung nicht ganz unkompliziert.
Mal davon abgesehen, dass alle Prozeduren für einen modernen
Menschen unzeitgemäß lange dauern und mit größter
Aufmerksamkeit ausgeführt werden müssen.
IMG_1017

Es ist wirklich manchmal eine ziemliche Geduldsprobe, aber die
Ergebnisse, der Glanz des Goldes ist jede Mühe wert.
Alle Zutaten werden mit einem Glasläufer zu einer ganz feinen
Pulverstruktur vermahlen, dann fügt man Fischleim und etwas
Wasser hinzu und mahlt erneut… wieder stundenlang…
wenn man aus lauter Erschöpfung aufgeben will, kann man mit
einzelnen Pinselproben sein Ergebnis testen und wird sicher
feststellen, dass die Körnung der Masse noch zu grob ist, also weiter…

IMG_1018

IMG_1020

IMG_1022
Irgendwann ist es geschafft, die Masse wird entweder möglichst
blasenfrei auf Alufolie in kleine Portionen zum Trocknen verteilt
( ich bevorzuge die Aufbewahrung in kleinen Muscheln)
Nun kann alles erst mal trocknen….
IMG_1023
Gesso bevorzugt bei der weiteren Verarbeitung eine hohe
Luftfeuchtigkeit, damit das Blattgold auch haften bleibt,
aber das ist eine andere Geschichte…
IMG_1027

 

 

„Was ist herrlicher als Gold?“ fragte der König.
„Das Licht,“ antwortete die Schlange.
„Was ist erquicklicher als Licht?“ fragte jener.
„Das Gespräch,“ antwortete diese. (Goethe, Märchen)

IMG_1028
 

 

 

 

 

Die innere Sicht

image

Der Sommer ist MEINE ZEIT! Ich liebe es, mich draußen auszubreiten
um zu arbeiten. Ich packe alle Farben und Werkzeuge auf ein altes
Tischchen im Garten, stöbere in meinen Notizbüchern, arbeite mich
durch Stapel ungelesener Bücher, grundiere meine Schrifttafeln,
schleife sie solange wieder ab, bis ich das Gefühl habe, dass sie die
richtige „Tiefe“ haben und vorbereitet sind für die eigentliche Arbeit
an dichterischen Träumereien mit Farben, Gold und Schriften.
Ich verliere mich ganz in diesen Tagen und tauche ein in Gedankenwelten,
die mir sonst eher verschlossen bleiben…
Die Uhren scheinen in diesen Wochen anders zu laufen, Zeiträume ganz
OHNE Zeitgefühl öffnen sich und ich kann „Ichselbstsein“, ohne dass ich
beschreiben könnte, was ich bin. Ich arbeite mit Worten, bin selbst
aber wortlos und nicht beschreibbar. Eine paradoxe Zeit…. wundervoll!
Herr Rilke, der selbst für alles noch so Feine stets die passenden Worte
findet, beschreibt es so:

…“So faßt uns das, was wir nicht fassen konnten
voller Erscheinung aus der Ferne an
und wandelt uns, auch wenn wir’s nicht erreichen,
in jenes, das wir, kaum es ahnend, sind.“ …..

Ein weiterer Text, -diesmal von Tolkien- mit dem ich immer
wieder Zwiesprache halten konnte, ohne ihn ganz zu ergründen.
Aber das ist vielleicht auch nicht nötig, denn das Hin-und
Herwiegen dieser Gedanken ist oft schon der eigentliche Sinn…

„Es wartet vielleicht um die Ecke ein Tor,
ein Durchschlupf in der Hecke.
So oft ging ich daran vorbei,
doch kommt der Tag
da geh ich frei den Weg,
der ins Geheimnis führt.
Wo West die Sonne,
Ost den Mond berührt.“

DIESER Sommer verlief allerdings völlig anders als gedacht…
von Ruhe und spielerischer Konzentration im Garten keine Spur!
Stattdessen hatte ich einige ungeplante Termine und viele
wunderbare Gäste! Und damit eine Fülle inspirierender Gespräche,
spannende Einblicke in fremde Arbeitsweisen und vielfachen
Austausch von Informationen und Ideen rund um die Kalligraphie…

Jetzt, wo sich der Sommer dem Ende zu neigt, stelle ich fest, dass ich
doch viel gelernt und gearbeitet habe, nur eben anders als geplant…
Offene Fragen haben durch fremde Blickwinkel überraschend zur
Klärung gefunden, dafür sind neue Fragen hinzugekommen und manches,
was mir selbstverständlich erschien, sehe ich nun in einem ganz neuen Licht.

Auch der Bildhauer Jaume Plensa inspiriert mich immer wieder mit
seinen Installationen zu Mensch, Wort, Kommunikation und Schrift.
Ich freue mich, dass er jetzt in einer Ausstellung zu sehen ist!
Deshalb hier der Link und die Infos dazu:

Das Max Ernst Museum zeigt vom 4.9.2016 bis 15.1.2017 in der Ausstellung „Jaume Plensa – Die innere Sicht“ Skulpturen und Zeichnungen des katalanischen Bildhauers. Seine spektakulären und zugleich meditativen Arbeiten im öffentlichen Raum befinden sich an ausgesuchten Plätzen auf der ganzen Welt.

Auf geheimnisvolle Art und Weise füllt Jaume Plensa seine plastischen und zeichnerischen Formen gleichsam mit Ideen und Gedanken und regt den Betrachter zum Nachdenken darüber an, wer wir sind, wohin wir gehen, was wir träumen…

Mehr Infos zur Ausstellung: http://bit.ly/2bBfuth