Archiv für den Monat: Mai 2017

ZEITeinganzerlangertagSPANNE

IMG_4799Was passiert, wenn zwei Kreative sich zusammentun und einen
ganzen Tag „OHNE ALLES“ planen?
Ohne Telefon, ohne Emails, ohne Konzept, ohne Termine…
kurz, ohne alles, was Druck machen könnte oder ablenkend vom
freien Tätigsein und Gedankenfluss ist. Dafür MIT viiiel Zeit…
Zeit für Milchcafé und Gespräch, Zeit zum Schweigen und
Meditieren, Zeit zum Nachdenken und „Insichhineinhorchen“,
Zeit zum Ausprobieren, Spielen und Experimentieren.

Die Idee stammt, wie meistens, aus einer flapsigen Bemerkung,
„wie schön es doch wäre, wenn…“
Denn gerade die, die Kreativität zu ihrem Beruf gemacht haben,
beklagen den Zeitmangel und die Ablenkung durch andere (sicher
auch wichtige) Dinge. Der schöpferische Strom scheint immer
irgendwie in Gefahr zu sein.

Also gesagt, getan: Termin vereinbart und sich Ungestörtheit erbeten.
Mit Spannung und Vorfreude haben wir diesen Tag erwartet und uns
dabei stets versichert, dass wir keine erdrückenden Erwartungen haben.

Wir haben mit Tee und Meditation begonnen und uns danach notiert,
was uns wichtig erschien. Wir haben konzentriert sortiert, gegrübelt,
skizziert und ausprobiert ….
Eine tätige Stille kam über uns oder eher in uns. Sie hat uns durch den
Tag getragen, uns zentriert. Es sind Arbeiten und Arbeitsansätze auf
großen und kleinen Formaten entstanden. Wir haben Fragen gefunden,
die für unser weiteres Schaffen wichtig sind.

Es ist sooo interessant, wie unterschiedlich die Arbeitsweisen sind,
dass ich kurz davon berichten muss…
Die „Gedankensammlerin“ Brigitte ist auch eine gute Zuhörerin und
richtet dann ihre Aufmerksamkeit wie einen Scheinwerfer, oder besser
gesagt, wie mit einer Lupe auf die kleinen, flüchtigen „Gedankenwesen“
und legt sie behutsam in ihr „Gedankenarchiv“. Dazu benutzt sie eine
Vielzahl von Stiften und Farben, die sie sorgfältig und griffbereit vor
sich aufgereiht hat, und trägt alles erst mal fein säuberlich in ihre
verschiedenen (natürlich farblich sortierten) Notizbücher ein.
So ist eine erstaunliche Arbeit auf einer großen Tapetenrolle mit viel
Freiraum für jeden einzelnen Gedanken entstanden. Alles hat genug
Platz, um sich entfalten zu können. Wie schillernde Schmetterlinge
habe ich die Farben und Linien bestaunt.

Meine eigene Arbeit war ein Büchlein in japanischer Heftbindung
mit zweierlei Papieren. Stundenlang habe ich gemessen, zugeschnitten
gelocht und geheftet, auch noch mit silbernen Fäden, die sich ständig
aufdröselten. Es hat viel mehr Zeit in Anspruch genommen als ich
erwartet habe…
Als ich endlich fertig war, hatte die blaue Stunde schon begonnen. Ich
habe diese Zeit genutzt, um nur mit Bleistift einfach meinen Gedanken
zu folgen. Dazu ein paar spontane Übungen, die ich immer schon mal
ausprobieren wollte. Ein paar Schwünge, etwas Gold (ohne geht es bei
mir einfach nicht) … dabei heraus kam etwas Leichtes, Träumerisches,
Fragmenthaftes. Vor allem aber viele Ideen, die ich zu gegebener Zeit
vertiefen möchte.

Es gibt kein Resümee, aber vielleicht spricht es für sich, dass wir
gleich einen weiteren Termin vereinbart haben…

Vielen Dank, liebe Brigitte, für die Fotos und diesen intensiven Tag !
Wer sich ein Bild von Brigittes Arbeiten machen möchte, kann diesem Link folgen.

http://www.brigitteborchers.de/

BE-SINNUNG Nachdenken über Schrift

 

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Der Verlust der Handschrift in unserer Kultur ist ein Thema, das
immer wieder an mich herangetragen wird… eigentlich höre ich
dazu keine neuen Aspekte,  sondern nur Frustration über die „handschriftlose“
Jugend und die Beziehung zwischen Handschrift und Persönlichkeit,
das Ganze gewürzt mit Schelte auf die neuen Medien. Dazu hat
neulich ein Radiosender angefragt, was ich „als Fachfrau“ zu
Handschrift, Handlettering und Kalligraphie meine…
Es wird also Zeit, dass ich mir dazu ein paar konkrete Gedanken mache!

Um es vorweg zu sagen, ich gehöre nicht zu den „Schrift-Fundamentalisten“,
denn „früher“ war sicher nicht alles besser. Die Kinder mussten Schrift
unter Druck und Repressalien lernen, Linkshänder wurden „um-erzogen“,
ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das persönlichkeits-
fördernd wirken soll!
Aus meiner eigenen Praxis und den Beobachtungen in Kalligraphie-
Seminaren kann ich jedoch feststellen, dass man auf einem Stück
Papier sehr wohl die Facetten seiner Persönlichkeit kennenlernen kann,
und das müssen nicht immer die angenehmsten sein…
wie gesagt, „Das Selbst verdoppelt sich in der Geste der Schrift“. V.F.

Es gibt wissenschaftliche Studien über den Wert der Handschrift, aber
warum wenden sich die Schulsysteme und die Gesellschaft derzeit
davon ab, obwohl doch scheinbar bewiesen ist, wie unverzichtbar sie ist?
Vielleicht hat die moderne Welt einfach allgemein wenig Zeit für all die
Dinge, die die SINNE ansprechen. Allenfalls hobbymäßig hat Schrift eine
Bedeutung wie neuerdings der Erfolg des „Handletterings“ zeigt.
Es ist in meinen Augen eine schöne Wiederentdeckung der Handschrift
oder ein Einstieg in die Kalligraphie, es ist vor allem alltagstauglich für
Grüße und Wünsche. Und es zeigt die Lebendigkeit der Schrift,
auch und gerade im digitalen Zeitalter!

Aber Schreiben ist mehr!
Schreiben ist ein sinnliches UND geistiges Erlebnis!
Dabei bin ich ganz „bei mir“, erlebe mich als Ganzheit.
Spontan, intuitiv und doch bewusst handelnd in konzentrierter,
selbstvergessener Gelassenheit.
Schreiben ist ein Mitschwingen in den eigenen Rhythmus, bedeutet
Resonanz und Erfahrung, Austausch und Begegnung mit mir selbst
und der Welt, in der ich lebe. Es lässt die künstlerische, schöpferische
Seite in mir lebendig werden, manchmal nur für Augenblicke.
Der persönliche Ausdruck von Gedanken in Worte
und in Schrift ist ein hohes freiheitliches Gut. Es ist weit mehr als
ein Hobby, Schreiben ist aktive Gestaltung unserer Gesellschaft.

Abschließend dazu einige Gedanken von Jaume Plensa:

Ein BUCHSTABE
gleicht einer mit einem Gedächtnis begabten Zelle. Eine Letter in
einem Alphabet ist etwas sehr präzises, das über Generationen
hinweg entwickelt wird und der beste Ausdruck für Kultur.
Eine Zelle allein ist biologisch gesehen gar nichts, aber zusammen
mit anderen bildet sie ein Organ oder einen Körper, und so ist es
auch mit Buchstaben. Jeder Buchstabe bewahrt sein Gedächtnis
und seine Persönlichkeit, auch wenn er dem komplexeren Körper,
dem bedeutungsvollen Text dient.
Darin liegt in meinen Augen eine schöne Metapher für Vielfalt.
Mit Text lässt sich Kultur machen, und mit einer Kultur lässt
sich alles machen.