Wenn ich mich Inwändig kenne, kenne ich mich dann auch Auswendig?
Sind es zwei Seiten der gleichen Form? Wie eine Vase, die, weil innen glasiert, das Wasser frisch hält und außen die angenehme Form zeigt?
Bedeutet Auswendig sowas wie ein Gedicht, das tausendmal herunterrezitiert kaum noch fühlbar ist? Kann man Inneres nach außen wenden? Ist egal, wo innen und außen ist? Wo genau ist eigentlich die Grenze zwischen innen und außen?
Ist eins von beiden nur nützlich für das andere oder besteht eine Art Interdependenz?
Habe ich irgendwann aufgehört, mir solche Fragen zu stellen? Ich stelle sie nicht mehr laut, ich lebe damit… Sie machen einen nicht unerheblichen Teil meiner schöpferischen Arbeit aus… Dort gieße ich sie in eine Form in langen stillen Arbeitsstunden, wo mich keiner töricht oder verträumt oder weltabgewandt nennen kann, wo das Wiedererkennen meiner Inwändigkeit der wohlformulierten Inwändigkeit einiger Dichter oder Philosophen begegnen kann, deren Worte ich fast auswendig rezitieren kann…
Im Stillen rede und denke ich mit ihnen, als würden wir gemeinsam vor meiner Staffelei stehen oder ich sitze mit Goethe im Gartenhaus (der olle Staatsbedienstete geht auf Nummer sicher, falls es mal mit seiner Kunst nichts wird, hat er trotzdem Geld für Frack und vornehmes Leben), mit Eichendorff Pfeiferauchend an der Bahnstation, wo er mir von seinen Träumen als „Taugenichts“ erzählt, um seiner angebeteten Gräfin hinterher zu reisen (und das als guter Katholik…der Schlingel lebt sich also auch unsichtbar in seiner Kunst aus..)
Mit Matthias Claudius hab ich in seiner Stube geredet, seine Philosophie hat mich beeindruckt, aber seine enge bürgerliche Weltsicht kann ich als Frau des 21. Jhdrts kaum ertragen. Theophanu, die fast unbekannte Kaiserin der großen Ottonen (sie wurde mit 12 Jahren aus dem Orient „geholt“ zur Verheiratung der byzantinischen OstKirche und der römisch katholischen Kirche… ohne Worte… Sie regierte sieben Jahre lang allein, während sie mit vier Kindern von Pfalz zu Pfalz bei Wind und Wetter reiste und ist immer nach kostbarster byzantischer Mode gekleidet, hat sich nie an deutsche Gemütlichkeit (und Birkenstöcke) angepasst (dann schleppt man lieber 800! Kisten mit Samt und Seide mit sich herum, das hat Klasse! Wie sah es bloß in ihr drin aus, hatte sie Heimweh nach orientalischer, nach Düften und Gewürzen, die der Westen nichtmal kennt? (Ich habe ihr großflächig mein teuerstes Indigo gewidmet). Ihr märchenhafter Sarg aus Naxosmarmor ist in einer Kölner Kirche, was kaum jemand weiß…
Mit Franz von Assisi hab ich in Gedanken alte Kirchen wieder aufgebaut, während ich versuchte, mir sein Gesicht unter meinen malenden Händen (mit italienischen Erdpigmenten) vorzustellen, wie charismatisch er gewesen sein muss. Er, der Ritter werden wollte, Frauenheld und Partylöwe kraft elterlichen Geldes war; er, der alles von sich geworfen hat eines inwändigen Lebens willen!, sich nackt auf dem Markplatz ausgezogen hat, seinem Vater alles vor die Füße geworfen und gezankt hat… Auch Klara von Assisi war davon so tief beeindruckt, dass sie ihm gefolgt ist und sich durchgerungen hat zu ihrem eigenen Weg… (er bot ihr seine erst renovierte Kirche an, schnitt ihr die Haare ab und verfasste große Teile seines berühmten „Sonnengesangs“ bei ihr.
Hermann Hesses unerträgliche Spannungen zwischen individueller Freiheit und anerzogenem Pietistentum… Rilkes Weinerlichkeit, die doch erst seine besondere Kunst, nämlich das „Atom eines jeden Gefühls beschreiben zu können“ hervorgebracht hat. Die Schwestern Brontë, die nur unter männlichem Pseudonym ihre Texte veröffentlichen durften und Auswendig immer zahm und angepasst wirkten… ich habe ihre Sätze in mein schönstes Ölbild reingeritzt mit einem groben Messer, (egal, was die Kalligraphen dazu sagen..) Marc Aurel mit seinem schweren Herzen. Romano Guardini, wo jeder Gedanke ein Gebet zu sein scheint. Mein liebstes ist: „Erst im Stillsein tut sich das Ohr auf für den inneren Ton in allen Dingen.“ Kann man schöner, klarer, reiner denken?!
Höchstens D. Bonhoeffer, aber das ist eine lange Geschichte, so etwas wie mit ihm habe ich noch nie erlebt, wie Worte „reiner Geist“ werden können, ich fühlte mich eigentlich nicht befugt, seine erhabenen durchgeistigten Gedanken „einfach so“ zu schreiben…
Aber auch Adelige, unbekannte Mädchen in dynastischen Kleidern habe ich gemalt „Erinnerst du dich, wer du warst, bevor die Welt dir gesagt hat, wer du sein sollst?“ Charles Bukowskis Frage als Paukenschlag dazu, niemand soll mich für eine Romantikerin halten!
Haben sie alle gelogen? Alle waren mit einem Teil von ihrer Persönlichkeit unsichtbar und genau das war ihre eigentliche Stärke!
Ich glaube sogar, dass Hildegard von Bingen sowas ähnliches mal dazu formuliert hat…
Zum Anfang:
Manchmal passiert es eben auch anders! unerwartet, ungeplant … Etwas, nein jemand, führt mich in mein eigenes Innen, auf mein Inwändiges, also mein verborgenes Dasein, meine Seelenstruktur zurück. Es gelingt mir nicht immer, nicht mal oft, wenn überhaupt, dann nichtmal aus eigener Kraft so tief hinabzusteigen. Es braucht Impulse von außen, die es „anstupsen“, vielleicht sogar unbeabsichtigt. „Wie Regen aus dem Himmel“… ich bin verunsichert, ich weiche aus, klammere mich an, ja an was? Ganz selten geschieht es dann: das Inwändige wird scheinbar größer, sichtbarer, fühlbarer, realer. Es blättert sich auf und auf und auf wie eine tausendblättrige Blüte. Ich kenne ihn, diesen geheimnisvollen Ort; ich erkenne ihn wieder, fast ungläubig, als meine Quelle, als den UrOrt, der nie jung war und nie alt sein wird, der einfach IST und in dem alles, was ich „im WESENtlichen“ bin, immer schon enthalten ist.
Aber… diese Überbetonung des Inwändigen leugnet sie nicht die Existenz des Auswendigen? Besteht eine gute Form nicht aus innerem Charakter UND äußerem sichtbar geformtem Leben? Ich fühle mich nicht in der Lage beides gleichzeitig zu sehen… innen und außen. Wie ich nicht gleichzeitig träumend und wach sein kann und doch erscheine ich mir gerade im Traum ÜBERwach. Bin ich gelogen, wenn ich nicht beides gleichzeitig ins Spiel bringe?
Oder erklingt die Musik nicht erst im Wechsel von Stille und Ton? Melodie und Rhythmus. Es braucht BEIDES! Ebenso ein gutes Instrument wie einen konzentrierten Spieler…